Das Altersheim Soda liegt in einem Township von Harare. Neben dem Eingang befindet sich eine offene Abfallhalde, es stinkt. Das Heim besteht aus mehreren ebenerdigen Häusern, rundherum ist es grün.
Hinter einem Mangobaum taucht eine zierliche Frau auf. Mit sichtlicher Anstrengung bewegt sie sich voran, Schritt für Schritt in viel zu grossen Sandalen. Es ist Angelique Cgibko, eine 78-jährige Frau, die vor einigen Jahren einen Hirnschlag erlitt. Der tägliche Ausflug zum Mangobaum sei ihr Fitnessprogramm, sagt sie, während sie sich langsam auf ihr Bett setzt.
Normalerweise würde sie ihr Zimmer mit einer anderen Frau teilen, doch wegen Covid-19 lebt pro Zimmer heute eine Person. Gesamthaft wohnen dreizehn Menschen in diesem Heim. Angelique Cgibko erzählt, dass ihre Familie sie nach dem Hirnschlag nicht mehr haben wollte. «Es ist ja kein Wunder, ich konnte nicht mehr helfen, ich war zu nichts mehr gut», sagt die Frau, ohne sich zu beklagen.
Während in ihrem Zimmer die Wände voll sind mit Plastiksäcken, in denen sich ihr ganzes Hab und Gut befindet, liegt im Zimmer nebenan eine blinde Frau in einem kargen Zimmer.
Sie kann eigentlich nur daliegen, sie hat nicht einmal ein Radio. Und dennoch verströmt sie eine unbegreifliche Fröhlichkeit. Die dritte in diesem Haus hat ihr Zimmer in eine Hütte verwandelt, sie isst auf dem Boden. An den Wänden stapeln sich Äste, falls sie Feuerholz brauchen würde.
Die Leiterin des Altersheims – einem von über 200 in Simbabwe – versucht alles, um den Bewohnern ein individuelles Dasein zu ermöglichen. Doch natürlich breche es ihr immer wieder das Herz zu sehen, wie wenig sie ausrichten könnte, sagt Emilia Mukaratirwa.
«Wir in Afrika waren ja immer so stolz auf unsere Grossfamilien, auf den Ältestenrat in den Dörfern. Das hat uns vom entmenschlichten Westen unterschieden. Doch dieses System bricht auseinander, es hält dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck nicht stand.»
Auf Freiwilligenarbeit angewiesen
Das Altersheim Soda ist ein staatliches Altersheim. Doch da der Staat bankrott und korrupt ist, steuert er nichts bei. Emilia Mukaratirwa ist die einzige bezahlte Angestellte, alle andern verrichten Freiwilligenarbeit.
Sie arbeitet eng mit der NGO «HelpAge Simbabwe» zusammen. Die Organisation bringt einerseits alte Menschen hierher, die sie auf der Strasse herumirren sieht, und hilft andererseits bei der Suche nach Sponsoren. So hat eine lokale Bank die sanitären Anlagen im Frauen- und im Männertrakt renoviert. Zudem finanziert sie die Installation einer Solaranlage, damit die Menschen nicht im Dunkeln sitzen müssen, wenn wieder mal der Strom ausfällt – was in Simbabwe fast immer der Fall ist.
Ziegen zur Gemeinschaftsbildung
Die Leiterin sorgte zudem dafür, dass noch rüstige Männer sich auf dem eigenen Maisfeld betätigen können, wenn sie das wollen, und schaffte eine kleine Ziegenherde an. Die Ziegen sind eine willkommene Abwechslung unter den männlichen Insassen, die mehr oder wenig stumm, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, in ihrem Innenhof sitzen.
«Die Ziegen bringen sie zusammen und holen sie aus ihrem individuellen Elend heraus. Denn abgesehen vom abendlichen gemeinsamen Fernsehen findet wenig Gemeinsames statt. Die Leute wollen auch alle allein in ihren Zimmern essen», stellt Emilia Mukaratirwa fest.
Zwei Männer betreuen die Ziegen mit besonders grossem Einsatz. Sie begleiten sie ins nahe gelegene Gebüsch, treiben sie später zurück und füttern sie. Allerdings verlieren sie dabei untereinander wenig Worte. Ohne die Ziegen wäre er schon längst depressiv geworden, sagt der eine Mann, der von seinen Enkeln aus dem eigenen Haus geekelt worden ist. Sein Freund nickt zustimmend.
Abgesehen vom abendlichen Fernsehen findet wenig Gemeinsames statt.
Nach dem Ausflug mit den Ziegen warten alle in ihren Zimmern auf das Mittagessen, das Fleisch ist an diesem Tag von zwei reichen Frauen gespendet worden. Auch Angelique Cgibko isst für sich alleine.
Auf die Frage, wie es ihr denn hier gefalle, erwidert sie: «Es ist okay, aber halt nicht mein Zuhause.» Langsam löffelt sie mit der nicht gelähmten Hand den Maisbrei in ihren Mund. So traurig ihr Anblick stimmt, sie hat Glück im Unglück. Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und Angestellte, die ihr ein Lächeln schenken.