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Die vergessenen Alten Simbabwes
Aus Tagesschau vom 29.05.2022.
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Altersheim in Simbabwe Die alten Menschen Afrikas – vergessen und abgeschoben

Insbesondere seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie werden ältere Menschen vermehrt als Last empfunden und von ihren Familien verstossen. Wer Glück hat, muss nicht auf der Strasse leben, sondern findet Platz in einem Altersheim, wie im staatlichen Heim Soda in Harare.

Das Altersheim Soda liegt in einem Township von Harare. Neben dem Eingang befindet sich eine offene Abfallhalde, es stinkt. Das Heim besteht aus mehreren ebenerdigen Häusern, rundherum ist es grün.

Das Altersheim Soda in Harare.
Legende: Das staatliche Altersheim Soda in Harare, der Hauptstadt Simbabwes – nur 13 Menschen leben hier. SRF

Hinter einem Mangobaum taucht eine zierliche Frau auf. Mit sichtlicher Anstrengung bewegt sie sich voran, Schritt für Schritt in viel zu grossen Sandalen. Es ist Angelique Cgibko, eine 78-jährige Frau, die vor einigen Jahren einen Hirnschlag erlitt. Der tägliche Ausflug zum Mangobaum sei ihr Fitnessprogramm, sagt sie, während sie sich langsam auf ihr Bett setzt.

Angelique Cgibko sitzt auf dem Bett in ihrem Zimmer.
Legende: Das ganze Hab und Gut der 78-jährigen Angelique Cgibko – seit dem erlittenen Hirnschlag haust sie im Altersheim Soda. SRF

Normalerweise würde sie ihr Zimmer mit einer anderen Frau teilen, doch wegen Covid-19 lebt pro Zimmer heute eine Person. Gesamthaft wohnen dreizehn Menschen in diesem Heim. Angelique Cgibko erzählt, dass ihre Familie sie nach dem Hirnschlag nicht mehr haben wollte. «Es ist ja kein Wunder, ich konnte nicht mehr helfen, ich war zu nichts mehr gut», sagt die Frau, ohne sich zu beklagen.

Während in ihrem Zimmer die Wände voll sind mit Plastiksäcken, in denen sich ihr ganzes Hab und Gut befindet, liegt im Zimmer nebenan eine blinde Frau in einem kargen Zimmer.

Eine blinde Frau vom Altersheim.
Legende: Die blinde Frau ist dankbar um jede freundliche Stimme. SRF

Sie kann eigentlich nur daliegen, sie hat nicht einmal ein Radio. Und dennoch verströmt sie eine unbegreifliche Fröhlichkeit. Die dritte in diesem Haus hat ihr Zimmer in eine Hütte verwandelt, sie isst auf dem Boden. An den Wänden stapeln sich Äste, falls sie Feuerholz brauchen würde.

Eine alte Frau steht in einem Zimmer, welches sie in eine Hütte verwandelt hat.
Legende: Seit der Corona-Pandemie wohnt hier jede Person in einem eigenen Zimmer – diese alte Frau hat ihres in eine Hütte verwandelt. SRF

Die Leiterin des Altersheims – einem von über 200 in Simbabwe – versucht alles, um den Bewohnern ein individuelles Dasein zu ermöglichen. Doch natürlich breche es ihr immer wieder das Herz zu sehen, wie wenig sie ausrichten könnte, sagt Emilia Mukaratirwa.

Die Leiterin der Heims: Emilia Mukaratirwa
Legende: Die Heimleiterin Emilia Mukaratirwa tut alles für das Wohl der älteren Menschen. SRF

«Wir in Afrika waren ja immer so stolz auf unsere Grossfamilien, auf den Ältestenrat in den Dörfern. Das hat uns vom entmenschlichten Westen unterschieden. Doch dieses System bricht auseinander, es hält dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck nicht stand.»

Auf Freiwilligenarbeit angewiesen

Das Altersheim Soda ist ein staatliches Altersheim. Doch da der Staat bankrott und korrupt ist, steuert er nichts bei. Emilia Mukaratirwa ist die einzige bezahlte Angestellte, alle andern verrichten Freiwilligenarbeit.

Sie arbeitet eng mit der NGO «HelpAge Simbabwe» zusammen. Die Organisation bringt einerseits alte Menschen hierher, die sie auf der Strasse herumirren sieht, und hilft andererseits bei der Suche nach Sponsoren. So hat eine lokale Bank die sanitären Anlagen im Frauen- und im Männertrakt renoviert. Zudem finanziert sie die Installation einer Solaranlage, damit die Menschen nicht im Dunkeln sitzen müssen, wenn wieder mal der Strom ausfällt – was in Simbabwe fast immer der Fall ist.

«In Simbabwe gibt es keine Altersrente»

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Legende: Direktorin von «HelpAge Simbabwe», Priscilla Gavi: die Situation der alten Menschen sei prekär – viele seien obdachlos und Medikamente könne sich kaum jemand leisten. SRF

Interview mit Priscilla Gavi, Direktorin von «HelpAge Simbabwe»:

SRF: Wie entwickelt sich die Situation für alte Menschen in Afrika?
Priscilla Gavi: Sie verschlechtert sich zusehends. Wer in Afrika hilft, hilft in der Regel Müttern und Kindern, jenen, die die Zukunft des Kontinents symbolisieren. Die Alten gehen dabei vergessen. Dass die wirtschaftlichen Probleme – nicht zuletzt wegen der Covid-19-Pandemie – für alle zugenommen haben, bekommen vor allem die Alten zu spüren.

Welche sozialen Netze existieren für diese Bevölkerungsgruppe?
Eine Pension erhalten alte Menschen in den wenigsten Ländern. In Simbabwe gibt es keine Altersrente und jene, die in Südafrika ausbezahlt wird, ist eher symbolisch. In Simbabwe haben alte Menschen zwar gratis Zugang zu medizinischer Behandlung, doch die Medikamente müssen sie selbst bezahlen, was sie sich nicht leisten können.

Wie sehen Sie das im Alltag?
Wir sehen immer mehr obdachlose alte Menschen, die an Strassenkreuzungen betteln. Wir hören immer häufiger, dass sie von ihren eigenen Familien auf die Strasse gesetzt worden sind, weil es sich die Familie nicht leisten kann, ein unproduktives Mitglied zu ernähren.

Passiert das vor allem in den Städten? Ist das traditionelle System der Grossfamilie zumindest noch auf dem Land intakt?
Leider nicht. Auf dem Land werden vor allem alte Frauen der Hexerei angeklagt, wenn es der Familie schlecht geht oder wenn ein jüngeres Familienmitglied stirbt. Diese Frauen werden nicht nur von der eigenen Familie, sondern vom ganzen Dorf ausgestossen.

Was kann eine NGO wie «HelpAge Simbabwe» dagegen unternehmen?
Wir sind in allen afrikanischen Ländern präsent und arbeiten mit UNO-Organisationen und den Regierungen zusammen. Es geht darum, den alten Menschen ein Sprachrohr zu verleihen und auf allen Ebenen zu versuchen, ihre Situation erträglicher zu machen. Die UNO ist sich des Problems mittlerweile bewusst und lobbyiert heute auch für ältere Bevölkerungsgruppen. Denn mit der prognostizierten Bevölkerungsexplosion wird eben auch die Zahl der alten Menschen drastisch zunehmen.

Das Gespräch führte Cristina Karrer.

Ziegen zur Gemeinschaftsbildung

Die Leiterin sorgte zudem dafür, dass noch rüstige Männer sich auf dem eigenen Maisfeld betätigen können, wenn sie das wollen, und schaffte eine kleine Ziegenherde an. Die Ziegen sind eine willkommene Abwechslung unter den männlichen Insassen, die mehr oder wenig stumm, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, in ihrem Innenhof sitzen.

Männer des Altersheims im Innenhof.
Legende: Im Innenhof des Altersheims ist es ruhig: Verstummte Männer lassen den Tag an sich vorbeiziehen. SRF

«Die Ziegen bringen sie zusammen und holen sie aus ihrem individuellen Elend heraus. Denn abgesehen vom abendlichen gemeinsamen Fernsehen findet wenig Gemeinsames statt. Die Leute wollen auch alle allein in ihren Zimmern essen», stellt Emilia Mukaratirwa fest.

Zwei Männer füttern Ziegen.
Legende: Die Ziegen geben den Menschen halt im einsamen Alltag – ohne sie wäre er schon längst depressiv geworden, erzählt ein Mann. SRF

Zwei Männer betreuen die Ziegen mit besonders grossem Einsatz. Sie begleiten sie ins nahe gelegene Gebüsch, treiben sie später zurück und füttern sie. Allerdings verlieren sie dabei untereinander wenig Worte. Ohne die Ziegen wäre er schon längst depressiv geworden, sagt der eine Mann, der von seinen Enkeln aus dem eigenen Haus geekelt worden ist. Sein Freund nickt zustimmend.

Abgesehen vom abendlichen Fernsehen findet wenig Gemeinsames statt.
Autor: Emilia Mukaratirwa Heimleiterin

Nach dem Ausflug mit den Ziegen warten alle in ihren Zimmern auf das Mittagessen, das Fleisch ist an diesem Tag von zwei reichen Frauen gespendet worden. Auch Angelique Cgibko isst für sich alleine.

Angelique Cgibko sitzt auf dem Bett und freut sich auf das Mittagessen, welches ihr gebracht wird.
Legende: Zimmerservice bei Angelique Cgibko – hier isst jeder und jede für sich alleine. SRF

Auf die Frage, wie es ihr denn hier gefalle, erwidert sie: «Es ist okay, aber halt nicht mein Zuhause.» Langsam löffelt sie mit der nicht gelähmten Hand den Maisbrei in ihren Mund. So traurig ihr Anblick stimmt, sie hat Glück im Unglück. Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und Angestellte, die ihr ein Lächeln schenken.

Tagesschau, 29.05.2022, 19:30 Uhr

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