Das Assad-Regime soll in einem Gefängnis bei Damaskus von 2011 und 2015 zwischen 5000 und 13'000 Gefangene hingerichtet haben. Ein neuer Bericht von Amnesty International (AI) spricht von Folter und Massenhinrichtungen durch Erhängen ohne rechtsstaatliches Verfahren. Antworten von Alexandra Karle von Amnesty International Schweiz zur Basis der schweren Vorwürfe.
SRF News: Im AI-Bericht ist von einer wahren Vernichtungspolitik durch das Assad-Regime die Rede. Worauf stützen sich diese schweren Vorwürfe?
Alexandra Karle: Amnesty muss diese starken Worte wählen, damit die Weltgemeinschaft endlich aufwacht und der UNO-Sicherheitsrat aktiv wird. In besagtem Gefängnis Saidnaja werden spätestens seit 2011 systematisch Menschen vernichtet. Wöchentlich werden bis zu 50 Häftlinge erhängt, die im Militärgefängnis nach unter Folter erpressten Geständnissen abgeurteilt wurden. Zudem verhungern und verdursten täglich Menschen oder sterben an den Folgen von Folter. Bei den bis zu 13‘000 Hingerichteten in den vergangenen Jahren handelt es sich nach unseren Kenntnissen hauptsächlich um Zivilisten.
Der AI-Bericht stützt sich auf Interviews mit 84 Zeugen – ehemalige Wächter, Insassen, Richter oder Anwälte. Reicht diese Grundlage für derart schwere Vorwürfe?
Amnesty International recherchiert schon seit Jahren. Auch in einem Vorgängergefängnis Tadmor bei Palmyra sprach AI bereits mit überlebenden ehemaligen Insassen. Wir haben eine breite Basis von 84 Menschen, darunter Überlebende, die sich durch Flucht retteten. Deren Aussagen werden gestützt von Wärtern, ehemaligen Offizieren, Anwälten und allgemein von Menschen, die das System kennen, das der reinen Abschreckung und Vernichtung von Regimekritikern dienen soll. Darauf lassen sich fundierte Aussagen gründen.
Die von AI genannte Zahl von 5000 bis 13'000 Toten ist ziemlich ungenau. Ist es lediglich eine Schätzung?
Es ist eine Schätzung. Relativ genau ist aber die Zahl von 50 wöchentlichen Hinrichtungen, die von verschiedensten Quellen immer wieder bestätigt werden. Wie viele Menschen genau ums Leben kommen, weil sie verdursten und verhungern oder gefoltert werden, lässt sich tatsächlich nur abschätzen beziehungsweise aufgrund der Aussagen der verschiedenen Quellen hochrechnen.
Einen wirklichen Einblick in das Gefängnis hatte AI nicht, ebenso wenig wie andere Hilfswerke. Wie schwierig ist es, an handfeste Beweise zu kommen?
Das ist genau das Problem. Wir wissen aber von Häftlingen, die aus dem Vorgänger- und Vorbild-Gefängnis Tadmor bei Palmyra entkommen konnten, wie die Maschinerie läuft. Deshalb kann man ein relativ genaues Bild zeichnen. Ebenso ein Problem ist, dass niemand Zugang zum Saidnaja-Gefängnis hat. Das war unsere Hauptforderung, denn es passieren dort Verbrechen gegen die Menschlichkeit, systematische Tötungen von Zivilisten, also Journalisten, Demonstranten und Aktivisten. Menschen, die es gewagt haben, gegen Assad 2011 und 2012 auf die Strasse zu gehen. Der UNO-Sicherheitsrat muss darauf drängen, dass Inspektoren oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) endlich Zugang erhalten.
Wie schätzt AI das Ausmass der Tötungen mit Blick auf ganz Syrien ein?
Wir schliessen nicht aus, dass auch in anderen Gefängnissen Menschen wegen Folter und Misshandlungen umkommen oder hingerichtet werden. Aber für die Vernichtungsmaschinerie ist gemäss Erfahrungen und Recherchen meistens ein bestimmtes Gefängnis verantwortlich. Ein ehemaliger Wärter umschrieb es als «Vernichtungszelle für Revolutionäre». Genau das ist es.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.