Es war ruhig geworden um Chemnitz. Viele Wochen hörte man kaum mehr etwas aus der Stadt, die es noch vor kurzem nicht aus den Negativschlagzeilen geschafft hatte. Heute, fast drei Monate nach den Ereignissen im Spätsommer, als Chemnitz sein hässlichstes Gesicht gezeigt hatte, kam sie endlich, Angela Merkel.
Das ganze Land, ja die ganze Welt hatte mit dem Finger auf die Kleinstadt im Osten Deutschlands gezeigt, wo Ausländer und jüdische Bürger angegriffen wurden und der rechte Mob offen Naziparolen skandierte. Ein Verfassungsschutz-Präsident, der hinter allem eine linksextreme Verschwörung witterte, brachte gar die deutsche Regierung an den Rand des Zusammenbruchs.
Sie lässt Stürme vorbei ziehen
Steinmeier, Giffey, Özdemir, Gysi – alle kamen sie danach, um ein Zeichen gegen Hass zu setzen. Und Angela Merkel? Hielt sich zurück. Verurteilte die Ausschreitungen zwar, blieb dem Ort des Geschehens aber fern. Eine Einladung der Chemnitzer Oberbürgermeisterin liess sie zwei Monate lang ruhen.
Merkel liess Gras über die Sache wachsen – ganz, wie man es sich von ihr gewohnt ist. Blinder Aktivismus ist nicht Merkels Sache, genauso wenig wie kurzentschlossenes oder proaktives Handeln. Sie lässt Stürme gerne vorbeiziehen, bevor sie sich aus der Deckung begibt, und hat so schon manches politische Unwetter weitgehend unbeschadet überstanden.
Kein Merkel-Problem
In Chemnitz nehmen ihr das viele übel. Zu lange habe es gedauert, bis Merkel die Stadt besuchte. Die ersehnte Solidarität der Kanzlerin war ausgeblieben. Vor allem die fortschrittlichen, aufgeschlossenen Menschen in Chemnitz hätten sich mehr Unterstützung in dieser dunklen Stunde gewünscht – verständlicherweise.
Doch seither ist etwas Entscheidendes passiert: Die Kanzlerin hat ihren Abgang eingeleitet. Das nimmt Kritikern, die auch heute wieder laut fordern «Merkel muss weg», den Wind aus den Segeln.
Und so wird offensichtlich, dass der Unmut vieler Menschen – gerade im Osten – kein eigentliches Merkel-Problem ist. Viele hier fühlen sich von der Gesellschaft abgehängt. Und dieses Problem wird bleiben.