Am häufigsten geht es gegen Grüne. Der Deutsche Bundestag hat alle Angriffe auf Politikerinnen und Politiker gezählt – 1219 Mal wurden Grüne im Jahr 2023 angegriffen – auf Platz zwei folgt die AfD mit 478 Angriffen. 420 Mal wurde ein Vertreter, eine Vertreterin der SPD attackiert – FDP, CDU und Linke folgen mit Abstand. Total waren es 2790 Fälle von Gewalt gegen demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker. Eine Rangliste der Gewalt, die schockiert.
Der letzte Fall nun also in Dresden. Matthias Ecke, Kandidat für das Europaparlament, war gerade daran, seine Wahlplakate aufzuhängen. Eine Gruppe junger Männer griff ihn an – Schläge ins Gesicht, das Jochbein des Politikers war gebrochen. Am Sonntag wurde Ecke operiert – es gehe ihm den Umständen entsprechend gut. Aber die Genesung werde lange dauern.
Mit Eckes Knochen bricht auch das Vertrauen in den demokratischen Wettbewerb. Schläge statt Schlagabtausch. Warum kam es zur Tat? Die Vernehmung läuft. Immerhin hat sich einer der mutmasslichen Täter, ein 17-Jähriger, in der Nacht auf Sonntag bei der Polizei gestellt – begleitet von seiner Mutter. Die anderen drei sind ermittelt. Waren sie rechtsradikal – oder einfach nur brutal? Zumindest einer der Täter wird laut Landeskriminalamt Sachsen der Kategorie «politisch-motiviert rechts» zugeordnet.
Die kochende Politikkultur in Deutschland
Klar aber ist: Die politische Kultur in Deutschland ist in den letzten Jahren auf vielen Ebenen verroht. Vor allem von Rechtsaussen, man muss es so sagen, werden Politikerinnen und Politiker als «Verräter» dargestellt, als Feinde verleumdet und so zu Zielscheiben von Hass – und eben auch Gewalt. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sagte schon 2017: «Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land zurückholen.» Die Marke war gesetzt.
Auch wenn der aktuelle AfD-Parteichef Tino Chrupalla sofort Genesungswünsche an Matthias Ecke sendete: Dass die Verrohung der Sprache Auswirkungen auf die Hemmschwelle auf der Strasse haben kann, ist angesichts der vielen Übergriffe, Beschimpfungen, Drohungen und Bedrängungen klar. Das Extreme nimmt Überhand, von rechts, aber auch von links, wie auch die Angriffe auf AfD-Leute zeigen. Es kocht.
Das Politische ist das eine. Die Gewalt frisst sich aber auch in andere gesellschaftliche Bereiche. Sanitäter werden auch dann angegriffen, wenn sie Menschenleben retten. Ärzte werden verprügelt, wenn sie den Herrn mit Nasenbluten nicht sofort behandeln. Behördenvertreter werden bedroht – wegen Nichtigkeiten. Polizistinnen und Polizisten brauchen vielerorts selbst Polizeischutz. Die Zündschnüre werden kürzer, Selbstverständlichkeiten erodieren, nicht nur in Deutschland.
Der Rechtsstaat als Schutzpatron der Demokratie
Die Frage steht im Raum: Kann man die Hass- und Gewaltspirale zurückdrehen? Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, CDU-Mann Herbert Reul, sagt klar: Ja, aber dafür zuständig ist die Justiz. Der Rechtsstaat muss dafür sorgen, dass Täter verfolgt und verurteilt werden. Der Rechtsstaat ist der Schutzpatron der Demokratie, der Verstösse gegen Menschen, die sich für die Gesellschaft einsetzen, schützt.
Kann der Staat es schaffen, seine Vertreterinnen und Vertreter zu schützen? Es wird abzulesen sein an der nächsten Rangliste des Bundestags, an der Anzahl der Übergriffe auf Politikerinnen und Politiker. Doch wir wissen auch: Gebrochene Dämme sind schwer zu reparieren. Den Geist in die Flasche zurückzubringen, schwierig.