Die türkische Regierung schickt derzeit Inspektoren in Verkaufsläden für Berufskleider. Sie sollen überprüfen, ob mehr gelbe Sicherheitswesten verkauft werden als üblich. Offenbar befürchtet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, dass unzufriedene Bürger ihrer Stimmung in Sicherheitswesten gekleidet auf der Strasse Ausdruck verschaffen könnten – wie die «Gilets Jaunes» in Frankreich.
Türken leiden bislang im Stillen
Die Konjunktur in der Türkei trübt sich weiter ein, die Lira hat gegenüber Dollar und Euro in den letzten Monaten stark an Wert verloren. Dadurch verteuern sich die Importprodukte zum Teil massiv. «Vielen Menschen in der Türkei geht es wirtschaftlich schlecht», sagt Thomas Seibert, Journalist in Istanbul. Allerdings gebe es bislang keinen öffentlichen Protest – «die meisten Türken leiden eher im Stillen», so Seibert.
Trotz einer Inflation von 20 Prozent, steigender Arbeitslosigkeit und immer höheren Kreditkartenschulden vieler Türken sind grössere Proteste gegen die Regierungspolitik bislang ausgeblieben. Einer der Gründe für das Stillhalten der gebeutelten Bevölkerung ist die völlig zersplitterte Opposition. Es gebe keine Organisation, welche die Proteste anführen könnte, sagt Seibert. «Die Gewerkschaften sind sehr schwach.»
Aufmüpfige unter Druck
Wer sich in der Türkei für demokratische Rechte stark macht, bekommt es mit Erdogan zu tun. So drohte er kürzlich, einen bekannten Fernsehmoderator einsperren zu lassen, weil dieser das Recht auf Demonstrationsfreiheit eingefordert hatte.
Auch neue Ermittlungen gegen Teilnehmer der Gezi-Proteste von 2013 sollen deutlich machen, dass Demonstrationen nicht geduldet werden. «Derzeit sieht es danach aus, als würde sich die Taktik Erdogans auszahlen», sagt Seibert dazu.
Erdogan sammelt seine Kräfte
Der Journalist beobachtet «eine tiefe Verunsicherung der Regierung seit den Gezi-Protesten vor fünf Jahren». Seither fürchte sich die Regierung vor neuen Massenprotesten. Indem Erdogan die türkischen «Gelbwesten» in die Ecke von Staatsfeinden stelle, versuche er ausserdem, die eigene Anhängerschaft im Hinblick auf die Kommunalwahlen vom März zu mobilisieren. Der Präsident verbreite so die Botschaft, man müsse geschlossen gegen innere Feinde vorgehen, so Seibert.