Die Terrororganisation Hamas hat gerade erklärt, man stehe kurz vor einer Waffenruhe mit Israel. Vertreter der radikalislamischen Organisation hätten das so an die Vermittelnden aus Katar übergeben, sagte der Chef der Hamas. Weitere Informationen dazu gibt es nicht, und auch Israel hat sich bisher nicht dazu geäussert. Islamwissenschafter Reinhard Schulze schätzt die Ankündigung ein.
SRF News: Für wie glaubwürdig halten Sie es, dass eine Waffenruhe tatsächlich in greifbarer Nähe ist?
Reinhard Schulze: Vielleicht ist das Wort Waffenruhe etwas hoch gegriffen. Man müsste von Waffenpause sprechen, weil bei allen Beteiligten klar ist, dass es sich zunächst um eine temporäre Massnahme handelt. Und wenn man den Aussagen der Hamas Glauben schenken kann, geht es um eine Waffenpause, die etwa fünf oder sieben Tage umfasst. Eine solche Waffenpause scheint tatsächlich in greifbarer Nähe zu sein und es wäre nicht verwunderlich, wenn heute im Laufe des Vormittags die Regierung in Katar tatsächlich eine solche Pause verkünden könnte.
Die Hamas hat es geschafft, vergessen zu machen, warum der Krieg überhaupt stattfindet.
Die Hamas kündigt diese mögliche baldige Waffenpause quasi im Alleingang an. Welches Ziel verfolgt sie damit?
Die Hamas möchte die Initiative behalten und zeigen, dass sie bereit ist, grundsätzlich eine Waffenruhe einzuhalten und durchzusetzen, und dass Israel das Land sei, das nicht bereit für eine Waffenpause ist. Damit ist der Schwarze Peter bei Israel und das ist genau das, was die Hamas will. Hamas möchte Israel zum Sündenbock machen und den ganzen Konflikt für sich positiv interpretieren. Sie möchte die Weltöffentlichkeit auf die Seite von Hamas ziehen.
Wurde der Druck auf die Hamas ganz einfach zu gross, dass sie nun so vorpreschen?
Ich weiss nicht, ob die Hamas tatsächlich einen Druck empfindet. Der Druck ist sicherlich auch von der Weltöffentlichkeit auf Israel ausgerichtet. Die Hamas hat es geschafft, etwas vergessen zu machen, nämlich den Grund, warum der Krieg überhaupt stattfindet. Der 7. Oktober ist sozusagen aus der öffentlichen Diskussion herausgetreten und stattdessen steht eben das Leiden der Bevölkerung im Gaza im Vordergrund.
Israel müsste mit einer Waffenpause die Kröte schlucken, dass die Hamas dies nutzen könnte, sich militärisch neu zu arrangieren.
Damit kann sich Hamas zum Opfer machen und sich in dieser Opferrolle sehr viel stärker noch politisch positionieren. Das ist sicherlich der Grund dafür, weshalb Hamas eine solche Waffenpause als Sieg interpretiert und damit ein Dilemma für die israelische Regierung produziert. Denn die israelische Regierung müsste mit einer solchen Waffenpause auch die Kröte schlucken, dass Hamas in irgendeiner Art und Weise die fünf oder sieben Tage nutzen könnte, sich auch militärisch neu zu arrangieren.
Vermittlerin in dieser Feuerpause ist Katar und Katar soll das Abkommen auch verkünden. Wie ist das Verhältnis zwischen der Hamas und Katar in dieser Frage?
Katar hat sich inzwischen in eine Position bringen können, in der es gewissermassen als globaler Vermittler auftreten kann. Das kleine Emirat ist sozusagen verantwortlich für ein weltpolitisches Geschehen. Das hat es schon mit Afghanistan gemacht, mit den Taliban. Und jetzt wird eben Katar zur Drehscheibe auch der Debatten um eine mögliche Waffenpause oder gar Waffenruhe in Gaza. Und das ist für das Emirat viel wichtiger als eine direkte politische Parteinahme etwa für Hamas oder damals für die Taliban. Diese Rolle möchte Katar spielen, und im Augenblick gelingt es Katar ganz gut. Die Grossmächte sind sozusagen nur noch nachvollziehend.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.