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Anschlag in Magdeburg Profil des vermuteten Täters wirft viele Fragen auf

Ein angeblicher Islamgegner, der einen scheinbar typisch islamistischen Anschlag verübt – wer den tödlichen Angriff auf den Weihnachtsmarkt verstehen will, stösst in diesen ersten 24 Stunden nach der Tat auf eine Vielzahl von Hinweisen, die teils widersprüchlich erscheinen.

Vieles ist noch unklar, aber einige Beobachtungen, die typisch sind für die aktuelle Bedrohungslage, lassen sich festhalten:

Die Taktik – Auto in Menschenmenge – sagt wenig bis nichts über Motiv oder Ideologie aus. Terrorgruppen und Einzeltäter lassen sich von anderen «inspirieren» und lernen. Das gilt auch für Amoktaten, also hauptsächlich persönlich und weniger politisch motivierte Massenmorde.

Vielschichtige Bedrohungslage

Auch wenn die terroristische Hauptbedrohung in Westeuropa seit Längerem islamistisch-dschihadistisch und antisemitisch geprägt ist, dürfen andere Szenarien nicht vergessen gehen. Dazu gehören eben auch Amoktaten oder Mischformen aus psychischen Problemen, Versatzstücken extremistischer Ideologien und bestimmter Auslöser, Trigger.

Dennoch: Scheinbar wirre und auffällige Personen mit einem möglichen Gewaltpotenzial einfach in die «Psycho-Ecke» zu stellen, das wäre zu einfach. Wenn es in mancher Diskussion heisst, ein Täter sei ja «nur gestört», macht dies die Lage nicht besser, sondern komplexer. Ebenso vereinfacht wäre es, den Einfluss extremistischer Ideologien kleinzureden.

Meldungen ausländischer Behörden, wie hier offenbar aus Saudi-Arabien, sind oft zentral und kommen tagtäglich in grosser Zahl rein. Jeder einzelnen nachzugehen und entsprechend zu handeln, ist aufwändig. Und nicht immer funktioniert die Zusammenarbeit. Das Stressniveau der Behörden ist erheblich.

Vorschnelle Schlüsse auf Social Media

Öffentliche Veranstaltungen sind schon lange gefährdete Ziele – es fragt sich, wie weit der Weihnachtsmarkt in Magdeburg geschützt war, wo es vielleicht Lücken gab. Andere Behörden und Veranstalter sollten von den Erkenntnissen lernen. Aber: Nach jeder Tat wird in der Öffentlichkeit hitzig über Tatmittel und Ziele debattiert (Messer! Konzerte!), immer neue Forderungen werden aufgestellt. Man sollte aber die Frage stellen, ob das wirklich den Kern des Problems trifft.

Noch bevor gesicherte Erkenntnisse über das Motiv vorliegen, wollen manche, besonders auf Social Media, diesen Kern schon Minuten nach den ersten Schreckensbildern kennen. Islamisten! Rechtsextreme! Psychisch krank! Die Lesart der Tat ist dabei oft mehr Spiegel des eigenen Weltbilds als nüchterne Analyse.

Gerade dieser Angriff von Magdeburg, mit dem auf den ersten Blick untypischen Täterprofil, verdeutlicht einmal mehr: Die aktuelle Bedrohungslage ist vielschichtig.

Daniel Glaus

Fachredaktor Extremismus

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Daniel Glaus ist seit 2015 Inlandredaktor beim Schweizer Fernsehen, zu seinen Dossiers zählen Extremismus und Terrorismus. Zuvor arbeitete der Investigativjournalist beim Recherchedesk von «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche».

Tagesschau, 21.12.2024, 13 Uhr

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