Die USA starteten als eines der ersten Länder mit dem Impfen und zogen innert Kürze eine effiziente Kampagne hoch. Doch inzwischen ist die Zahl der täglich verabreichten Impfungen massiv gesunken. Die Impfungen stagnieren. US-Präsident Biden musste kürzlich zugeben, dass er sein Ziel von 70 Prozent einmalig geimpften Erwachsenen bis zum 4. Juli verfehlt hat. Wenn man den Anteil der voll Geimpften in der Gesamtbevölkerung der USA anschaut, also inklusive Kinder, sind es sogar nur rund 50 Prozent Geimpfte.
Jetzt steigen die Ansteckungszahlen vor allem in Bundesstaaten mit unterdurchschnittlichen Impfraten wieder markant an. Und in einigen Regionen auch die Spitaleinweisungen.
Zunehmend jüngere Menschen hospitalisiert
In Missouri etwa gibt es einige überlastete Stationen, fehlende Beatmungsgeräte, Patienten müssen verlegt werden. Auch in Louisiana steigen die Ansteckungen und die Zahl der Covid-Patienten. Es sind zunehmend auch jüngere Menschen, die im Spital behandelt werden. Unter jungen Erwachsenen ist die Impfrate deutlich tiefer als im Durchschnitt.
Sie fragen, kann ich mich jetzt impfen lassen. Aber es ist zu spät. Sie fragen, können sich meine Angehörigen impfen, doch es ist zu spät. Sie liegen im Sterben.
Das sorgt für Ernüchterung bei Ärzten. «Wir alle hofften, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit der neuen Virusvariante und der tiefen Impfrate in unserem Bundesstaat sehen wir leider einen rasanten Anstieg. Jene Patienten, die wir sehen, sind nicht geimpft», sagt Charles Muntan, Arzt im Lakeview Regional Medical Center im Bundesstaat Louisiana. Kombiniert mit der aktuellen Reise- und Feierlaune der Amerikanerinnen und Amerikaner sei es ein Rezept für ein Desaster.
Greg Gardner, Notfallmediziner im Mountain West Hospital in Tooele, Utah, hat ebenfalls wieder mehr Patienten: «Sie fragen, kann ich mich jetzt impfen lassen. Aber es ist zu spät. Sie fragen, können sich meine Angehörigen impfen, doch es ist zu spät. Sie liegen im Sterben.»
Rund 30 Prozent der Erwachsenen landesweit sind nicht geimpft. Ein nationales Impfzertifikat oder einen Impfzwang gibt es nicht. Dafür verschiedenste Anreize, um die Impfung an den Mann oder die Frau zu bringen: Man kann eine Million gewinnen, bekommt Essen geschenkt oder Gratistickets, kann sich unter einem Wal im Museum impfen lassen. Freiwillige klappern Türen ab, um über die Impfung aufzuklären.
Dabei gibt es Unterschiede: Konservative Bundesstaaten haben im Durchschnitt tiefere Impfraten als liberale. Doch dieses Bild stimmt nicht immer. Mount Vernon ist ein Vorort des liberalen New York – und hat mit rund 30 Prozent eine enorm tiefe Impfrate.
Das will Judith Watson, die Leiterin des Gesundheitszentrums von Mount Vernon, ändern. Immer wieder suchen sie und ihre Leute das Gespräch mit den Menschen, die hier vorbeikommen. Das klingt dann etwa so: «Sie möchten keine Impfung?» Der Sicherheitsangestellte mit jamaikanischen Wurzeln sagt: «Nein. Solange die Impfung nicht klinisch bewiesen ist.» Watson fragt nach, was er damit meint, was es brauchen würde, damit er seine Meinung ändert.
Misstrauen und Angst
In Mount Vernon wohnen viele Schwarze und Hispanics. Sie wollten keine Impfung, da diese Bevölkerungsgruppen in der Vergangenheit für Versuche missbraucht wurden, sagt Watson. Doch sie hört verschiedene Gründe. «Die Impfung sei zu schnell entwickelt worden, Misstrauen, die Leute haben schlicht Angst. Die Jungen wiederum glauben, sie seien unbesiegbar.»
Watson motiviert ihr Team, auch wenn nur noch wenige Menschen zum Impfen kommen. «Wir retten Leben. Wir brauchen Geduld, es ist wie ein langsamer Tanz. Wir überzeugen Leute von Angesicht zu Angesicht.» Der Sicherheitsangestellte allerdings bleibt dabei, er will zuwarten. Watson sagt: «Wir sind hier, falls Sie die Meinung ändern.»