Das Wichtigste in Kürze:
- Beinahe wöchentlich berichten die Medien über einen neuen Ansturm afrikanischer Migranten und Flüchtlinge auf die spanische Exklave Ceuta in Marokko.
- Erst vor wenigen Tagen schafften es erneut mehrere Hundert Personen, den Grenzzaun zu überwinden.
- Auch die spanischen Grenzwächter können dies kaum verhindern, wie Puntas Bernet schildert. Der Journalist war vor drei Jahren für Recherchen vor Ort.
SRF News: Wieso versuchen so viele Menschen über den Zaun nach Ceuta zu gelangen, obschon das so gefährlich ist?
Puntas Bernet: Der Weg über den Zaun ist in Ceuta die einzige Möglichkeit, um nach Europa zu gelangen. Die ganze Grenze zwischen Ceuta und Marokko ist mit dem Zaun geschützt, der sogar ins Meer hinaus gebaut wurde. Manche versuchen deshalb, Ceuta schwimmend übers Meer zu erreichen. Viele der Menschen aus der Sub-Sahara, die nach Europa wollen, können allerdings nicht schwimmen. So bleibt einzig der Zaun übrig, um zu versuchen, in die spanische Exklave zu gelangen.
Es gibt Videos, die das Katz-und-Mausspiel in Ceuta zwischen Grenzwächtern und den Flüchtlingen zeigen. Ist dies tatsächlich die alltägliche Situation dort?
Das ist so. Dabei sind jeweils beide Seiten sehr gut über die Pläne der anderen Seite informiert. Als ich 2014 dort war, hat die Guardia Civil beispielsweise Menschen, die versuchten, mit Gummibooten nach Ceuta zu gelangen, mit Gummigeschossen beschossen. Die Polizei wurde daraufhin europaweit gerügt und die Gummigeschosse wurden für eine gewisse Zeit nicht mehr eingesetzt. Die Flüchtlinge, die sich einige Stunden zu Fuss im marokkanischen Hinterland aufhielten, bekamen das Verbot für den Einsatz von Gummigeschossen sofort mit und versuchten unverzüglich, die momentane Schwachstelle der Wächter Ceutas auszunutzen.
Sie haben damals auch mit den Grenzwächtern gesprochen. Wie haben Sie diese erlebt?
Sie wirkten hilflos und irgendwie resigniert. Sie erleben die Situation dieses ewig gleichen Spiels bereits seit zehn oder zwanzig Jahren. Besonders beeindruckt hat mich die Aussage des damals von mir porträtierten Grenzschützers Diego. Er sagte, dass er vor zehn Jahren mit den hungernden Familien vor dem Zaun noch Mitleid hatte.
Die Flucht aus Afrika ist zu einer Industrie geworden – zu einem Riesengeschäft.
Zuweilen habe er ihnen sogar geholfen, beispielsweise durch ein Loch im Zaun nach Ceuta zu gelangen. Es gab zu dieser Zeit eine Art menschliches Zusammenspiel zwischen Guardia Civil und den Flüchtlingen. Das Ganze war zeitweise ein fast schon romantisches Katz-und-Mausspiel mit Schwächen und Sympathien auf beiden Seiten. Das hat sich geändert: Die Flüchtlinge treten zunehmend aggressiver auf. Sie haben die Attacken auf den Zaun professionalisiert. Das macht aus den Grenzwächtern der Guardia Civil ebenfalls härtere Menschen, wenn sie vor der Entscheidung stehen, ob sie schiessen sollen oder nicht.
Wieso hat sich das Verhalten auf beiden Seiten derart verändert?
Es ist wohl die lange Zeit: Die immer gleiche Situation dauert nun schon seit 30 Jahren an. Am Anfang war es für alle Europäer und auch die Menschen in Ceuta neu, dass Afrikaner nach Europa wollen. Inzwischen sind alle auf beiden Seiten abgestumpft, die Flucht aus Afrika ist zu einer Industrie geworden, zu einem Riesengeschäft. Alle Afrikaner im Hinterland von Ceuta sind ausschliesslich mit Hilfe von Schleppern dorthin gekommen.
Die Flüchtlinge treten zunehmend aggressiver auf. Sie haben die Attacken auf den Zaun professionalisiert.
Die Schlepper-Organisationen wollen bezahlt sein, und wer es nach Europa schafft, kann den Preis dafür zurückzahlen. Der Druck, der in dieser Flüchtlings-Wirtschaft herrscht, ist immens. Deshalb sind auch alle Bemühungen, den Zaun höher zu machen, mehr Grenzwächter oder gar Helikopter einzusetzen, blosse Symptombekämpfung. Für eine Weile beruhigt sich die Lage jeweils ein bisschen, doch schon bald finden die Leute einen neuen Weg, die Massnahmen zu umgehen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.