Juristisch ist die Frage komplex, ob die italienische Regierung der «Aquarius» die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigern kann oder nicht. Die Antwort aber ist gleichwohl klar und deutlich.
Italien habe nur eine Möglichkeit, sagt die See- und Völkerrechtsspezialistin Violetta Moreno-Lax. Italien müsse die «Aquarius» einfahren lassen und die Menschen an Land nehmen.
Italien in der Verantwortung
Moreno-Lax stützt sich dabei auf drei internationale rechtliche Grundlagen. Erstens – die Seerettungsregeln: Italien selber koordiniert die Rettungseinsätze zwischen Italien und Libyen.
Und es hat auch den Einsatz der «Aquarius» koordiniert. Deshalb sei Italien auch dafür verantwortlich, dass das Schiff einen sicheren Hafen erreiche. Und wenn keine anderen Häfen erreichbar seien, bleibe nur ein italienischer übrig.
Zweitens erwähnt Moreno-Lax das internationale Seerecht. Hier hakt auch Stefan Schmidt ein. Er ist heute Flüchtlingsbeauftrager des deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein.
Früher war er selber Hochsee-Kapitän und rettete Menschen aus dem Mittelmeer. Mit ihnen an Bord nahm er einst Kurs auf einen italienischen Hafen. Nach tagelangem Streit mit der italienischen Marine erzwang er die Einfahrt. Später bekam er auch Recht vom italienischen Richter.
Seerecht spricht klare Sprache
Das gleiche Recht gelte auch heute noch für die «Aquarius». «Die Italiener können nicht Ja oder Nein sagen. Sie müssen Ja sagen. Sie können natürlich, wenn das Schiff im Hafen ist, sagen, ob diese Leute Asyl kriegen oder nicht. Das ist Sache des Staates.» Aber das Schiff müsste Italien einlaufen lassen. Dies sei so international geregelt, sagt Schmidt.
Und drittens erwähnen Schmidt und Moreno-Lax die Menschenrechts- und die Flüchtlingskonvention. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Menschen nicht lebensgefährlichen Risiken auszusetzen. Das tue Italien aber, wenn es ein Schiff wie «Aquarius» mit schwangeren Frauen und verletzten Menschen am Einlaufen hindere. «Das ist also ein besonders krasser Fall», sagt Schmidt.
Sie wissen nicht, was für ein armseliger Mensch Sie sind!
Empörung im EU-Parlament
Auch bei vielen EU-Parlamentariern war die Empörung gestern gross. Beispielsweise beim Chef der sozialdemokratischen Fraktion Udo Bullmann. Er fand klare Worte in Richtung Italiens Innenminister Matteo Salvini: «Sollten Sie, Herr Salvini, Ihre Stärke auf dem Rücken von schwangeren Frauen und Kindern demonstrieren müssen, dann wissen Sie nicht, was für ein armseliger Kerl Sie sind», ereiferte sich Bollmann.
Und Frans Timmermans, der erste Vizepräsident der EU-Kommission, fragte in Richtung Italien: «Glauben Sie nicht, wenn wir andere Menschen so unmenschlich behandeln, dass wir dann unsere eigene Menschlichkeit verlieren? Tötet uns das nicht moralisch, wenn wir so weiterfahren?»
Rechte stellen sich hinter Rom
Daneben gibt es auch solche, die die italienische Regierung beglückwünschen. Nicolas Bay vom Front National meinte beispielsweise: Genug sei genug. Die EU könne nicht noch mehr Migranten aufnehmen und solle sich ein Vorbild an Rom nehmen.
Doch die grosse Mehrheit der EU-Parlamentarier kritisiert Italien scharf und hofft, dass es nun auf politischer Ebene endlich vorwärtsgeht und sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Reform des Dublin-Systems einigen können.
Europa könne die Migrations- und Flüchtlingskrise nur dann bewältigen, wenn sich alle solidarisch zeigten. Doch diese Reform stockt seit Jahren. Der Liberale Guy Verhofstadt meinte deshalb, das Parlament müsse die Mitgliedsstaaten vielleicht vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen – wegen politischer Untätigkeit.