Nach den Wahlen in Israel stellt sich die Frage der Regierungsbildung. Eine Rolle könnte dabei auch das arabische Parteienbündnis spielen, wie Nahostkorrespondentin Susanne Brunner ausführt. Zu dem Bündnis (in der Grafik unten als Vereinte Liste aufgeführt) gehören die vier Parteien Chadasch, Balad, Taal und die Vereinigte Arabische Liste.
SRF News: Benny Gantz hat mit Blau-Weiss zwei Sitze mehr gewonnen als der rechtskonservative Likud des bisherigen Premiers Benjamin Netanjahu. Wieso wird Gantz trotzdem nicht neuer Ministerpräsident?
Susanne Brunner: Um eine Regierung stellen zu können, braucht es einen Block von mindestens 61 Sitzen in der 120-köpfigen Knesset. Doch weder Netanjahu noch Gantz können dies vorweisen. Gantz' Block aus Mitte-Links und fast allen arabischen Abgeordneten umfasst dabei einen Sitz weniger als der rechts-religiöse Block von Netanjahu. Dabei spielt Avigdor Liebermann mit seinen acht Sitzen das Zünglein an der Waage. Er will sich weder einem Premier Gantz noch einem Premier Netanjahu anschliessen.
Die arabischen Parteien unterstützen Gantz. Haben sie ihre Chance vertan, falls er jetzt nicht Premierminister wird?
Nein – dann hat vielmehr Gantz seine Chance vertan. Denn er verpasste es durch eigenes Verschulden, dass 3 der 13 arabischen Parlamentarier die Unterstützung für seinen Block zurückzogen. Hätte Gantz sich durch die Zusicherung ihrer Unterstützung nicht bloss peinlich-berührt gezeigt und wäre er auf einige ihrer Forderungen eingegangen, könnte er jetzt einen grösseren Block präsentieren als Netanjahu.
Netanjahu hat einen extrem anti-arabischen Wahlkampf geführt.
Das Ziel der arabischen Parteien ist primär, Netanjahu als Premier zu verhindern, nachdem dieser einen extrem anti-arabischen Wahlkampf geführt hat. Deshalb konnten sie sich auch dazu überwinden, eine zionistische Partei wie Gantz' Weiss-Blau zu unterstützen.
Die arabischen Parteien sind in der Listenverbindung zur drittstärksten politischen Kraft geworden. Inhaltlich liegen sie allerdings extrem weit auseinander. Was ist ihr gemeinsamer Nenner?
Mit 20 Prozent der Staatsbürger Israels vertreten die arabischen Parteien eine grosse Minderheit, die von Politik und Bevölkerung in vielen Bereichen diskriminiert wird. Das ist das Gemeinsame. Unter den arabischen Parteien gibt es aber riesige Unterschiede: Es gibt Kommunisten, Islamisten, Christen, Muslime, Realos, Fundis und solche, die nur an einem eigenen palästinensischen Staat interessiert sind.
Die israelischen Araber wollen vor allem gleichberechtigte Bürger sein.
Was erwarten die Wählerinnen und Wähler der arabischen Parteien von der israelischen Politik?
Sie wollen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sie wollen, dass die Polizei auch in ihren Quartieren gegen die Kriminalität vorgeht. Vor allem wollen sie aber gleichberechtigte Bürger sein. Laut Verfassung besitzen sie zwar die gleichen individuellen Bürgerrechte, doch es ist jüdischen Staatsbürgern vorbehalten, über die Zukunft des jüdischen Staates zu entscheiden.
Was bedeutet es für den Friedensprozess zwischen Palästinensern und Israeli, wenn Gantz mit Unterstützung der arabischen Parteien Ministerpräsident würde?
Politisch gibt es keine grossen Unterschiede zwischen Gantz und Netanjahu. Der Ex-General Gantz politisiert jedoch weniger ideologisch als Netanjahu. So würde er den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten kaum in gleicher Weise vorantreiben, wie das Netanjahu tut. Mit Gantz gäbe es sicher auch wieder Hoffnung auf einen Dialog mit den Palästinensern – doch dafür müsste auch bei der palästinensischen Autonomiebehörde ein Führungswechsel stattfinden.
Das Gespräch führte Joël Hafner.