Letzte Woche hat Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un zwei Raketentests durchgeführt. Gleichzeitig leidet die Bevölkerung des Landes an Armut und Unterernährung. Die Folgen tragen vor allem die Kinder, sagt NZZ-China-Korrespondent Matthias Müller. Er konnte Nordkorea kürzlich bereisen.
SRF News: Welchen Eindruck hatten Sie von der Hauptstadt Pjöngjang?
Matthias Müller: In Pjöngjang sticht einem ins Auge, dass es im Vergleich zu früheren Jahren deutlich mehr Autos und E-Bikes gibt. Man sieht auch mehr Familien mit Haustieren auf der Strasse. Kim Jong-un hat in den letzten Jahren zudem stark in Immobilien investiert. Es sind futuristisch anmutende Prunkbauten, die den Anschein erwecken sollen, Nordkorea sei wohlhabend.
Die Menschen sind zwar nicht gerade wohlgenährt. Aber zumindest die, die man in der Innenstadt sieht, sind etwas grösser und korpulenter als die in den ländlichen Regionen. Es gibt ein Gefälle zwischen der Stadt und dem Land.
Sie konnten auch aufs Land reisen. Was haben Sie dort gesehen?
Sobald man Pjöngjang verlässt, betritt man eine andere Welt. Auf dem Land sieht man Menschen mit abgemagerten Ochsen, die das Feld beackern. Traktoren sind sehr selten. Auch die Autobahnen sind in einem schlechten Zustand. Sie haben Schlaglöcher, die von Hand ausgebessert werden.
Man sieht auch Menschen in Uniformen und denkt, was macht der Knabe in Uniform? Wenn man dann an ihnen vorbeifährt und sich umdreht, merkt man: Das sind eigentlich erwachsene Menschen, Soldaten, die deutlich kleiner und auch schmächtiger sind als zum Beispiel ihre Landsleute im Süden Koreas.
Es besteht die Gefahr, dass hier eine Generation heranwächst, die geistig und auch körperlich schlechter gestellt ist.
Das ist eine Folge der Mangelernährung, die im Land herrscht. Die Folgen tragen vor allem die Kinder. Eines von fünf Kindern hat irreversible Wachstums- und Entwicklungsstörungen. Es besteht die Gefahr, dass eine Generation heranwächst, die geistig und körperlich schlechter gestellt ist.
Die UNO geht davon aus, dass elf Millionen Menschen, über 40 Prozent der Nordkoreaner, von Unterernährung bedroht ist. Warum fehlt es an Essen?
Das hat diverse Gründe. Das Regime hatte vor dem Gipfel von Donald Trump und Kim Jong-un Ende Februar in Hanoi deutlich auf die schlechte Versorgungslage im Land hingewiesen. Als Ursache dafür nannte es die UNO-Sanktionen. Nordkorea bekommt weder Pestizide noch Diesel ins Land. Und dementsprechend können die Leute dort ihre Felder nicht richtig bearbeiten.
Meine Frau sagt, wenn sie Nuklearwaffen bauen können, dann müssten sie auch ihr eigenes Volk ernähren können.
Das ist zumindest die nordkoreanische Lesart. Ein anderer Grund war die Dürreperiode im letzten Jahr. Im August gab es zudem starke Regenfälle. Manche Regionen wurden von einem Taifun getroffen, andere von Sturzfluten heimgesucht. Und dann gibt es noch einen dritten Grund. Von dem redet in Nordkorea selbst natürlich niemand, aber das landwirtschaftliche System Nordkoreas mit diesen planwirtschaftlichen Elementen ist sehr ineffizient.
Könnte es auch sein, dass Nordkorea ein Interesse daran hat, sich nach Aussen noch ärmer zu geben, um an mehr Hilfsgüter zu kommen?
Das ist sicher ein Argument. Auf der anderen Seite kann man sich auch fragen, ob man dem Land überhaupt helfen muss. Ich führe diese Diskussion immer wieder mit meiner Frau, die Südkoreanerin ist. Sie sagt, wenn sie Nuklearwaffen bauen können, dann müssten sie auch ihr eigenes Volk ernähren können. Im Prinzip ist das ein stichhaltiges Argument. Nur: Davon werden die Kinder in Nordkorea sowie die werdenden und stillenden Mütter nichts satt. Sie müssen letztlich die Folgen der Politik des Regimes tragen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.