1. Wie können die Aussengrenzen noch dichter gemacht werden?
Zentren in nordafrikanischen Ländern für gerettete Menschen: Das primäre Ziel der EU besteht darin, die Migrationsströme von Afrika nach Europa zu unterbinden. Um das zu erreichen, stehen «disembarkation platforms» in nordafrikanischen Ländern zur Diskussion. Auf dem Mittelmeer gerettete Menschen würden demnach nicht mehr nach Europa, sondern zurück nach Afrika gebracht werden.
Heikel ist die Frage, ob europäische Schiffe auf dem Meer gerettete Menschen zurück nach Afrika bringen dürfen. Der Europäische Gerichtshof hielt in einem wegweisenden Urteil 2012 fest, dass dies den völkerrechtlichen Verpflichtungen widerspricht. Der Gerichtshof argumentierte, ein geretteter Migrant habe das Recht, einen Asylantrag zu stellen und das Recht auch auf ein faires Verfahren. Und es sei die Pflicht des europäischen Staates (im damaligen Fall ging es um Italien), dieses Recht zu garantieren. Und da Italien dies nicht auf dem Schiff erledigen könne, müsse es die Menschen aufs eigene Festland bringen.
Die Experten des Deutschen Instituts für Menschenrechte folgern daraus, dass es für europäische Schiffe auch heute verboten wäre, Menschen zurück in solche Zentren zu schaffen. Auch die EU-Kommission ist diesbezüglich zurückhaltend. Völlig unklar ist auch, ob überhaupt Länder Nordafrikas solche Zentren auf ihrem Territorium akzeptieren würden.
Gleichwohl sollen die Staats- und Regierungschefs am heutigen Gipfel grünes Licht geben, um hier vorwärts zu machen. In der Vorstellung der Europäer sollen dann wohl die Küstenwachen der nordafrikanischen Länder übernehmen, was die Europäer nicht dürfen.
Zentren ausserhalb der EU – zum Beispiel in Albanien: Einen anderen Vorschlag präsentierte der österreichische Kanzler Sebastian Kurz: Er schlug vor, dass Migranten/Flüchtlinge, die bis nach Europa kommen, in Flüchtlingszentren ausserhalb der EU zum Beispiel in Albanien untergebracht werden. Gemäss EU-Kommission und gemäss Deutschem Institut für Menschenrechte ist das aber mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar. Dieser Vorschlag wird deshalb von der EU-Kommission nicht weiter verfolgt.
2. Wie können die ankommenden Menschen, die Asyl beantragen, gerechter auf die Mitgliedstaaten verteilt werden?
Neue Zentren in der EU für Menschen, die es bis nach Europa schaffen: Der französische Präsident Emmanuel Macron und der spanische Regierungspräsident Pedro Sanchez brachten die Idee von geschlossenen Zentren auf europäischem Boden ins Spiel. Die Menschen, die es gleichwohl bis nach Europa schaffen, würden auf solche Zentren verteilt. Hier würde beurteilt, ob jemand ein Recht auf Asyl hat oder nicht. Im positiven Fall würde er auf die anderen Mitgliedstaaten umverteilt, im negativen würde er zurück in seine Heimat gebracht.
Das Problem hier ist ein doppeltes: Erstens zeigt sich bis jetzt kein EU-Mitgliedstaat bereit, solche Zentren auf dem eigenen Gebiet einzurichten und zweitens sieht das europäische Recht zwar vor, dass Migranten in begründeten Einzelfällen in Haft genommen werden dürfen, sie dürfen aber nicht pauschal für die Zeit der Abklärungen in geschlossenen Zentren untergebracht werden.
Dennoch verfolgt die EU-Kommission auch diesen Vorschlag weiter. Bemerkenswert hier ist zudem, dass solche Zentren und die später erfolgende Umverteilung nicht mehr im Rahmen der EU-28 betrieben würden, sondern nur von den wenigen «Willigen». Es wäre eine Abkehr vom gesamteuropäischen Ansatz.
3. Wie verhindern, dass Menschen, die sich in einem Land registriert haben, in ein anderes Land ziehen, um dort Asyl zu beantragen?
Aktuelle Reform des Asylsystems in der EU: Neben dem Schutz der Aussengrenzen dreht sich die aktuelle Debatte vor allem um die Sekundärmigration. Das sind Migranten/Flüchtlinge, die zum Beispiel in Italien an Land kommen, sich dort registrieren lassen und dann trotzdem in ein anderes Land weiter ziehen, um dort Asyl zu beantragen.
Die EU ist aktuell an einer gross angelegten Reform des Asylsystems, welche auch diese Sekundärmigration einschränken würde. Die Asylreform beinhaltet sieben Reformen. Fünf sind eigentlich fertig beraten, zwei sind blockiert.
- Fertig beraten ist die Reform der Aufnahmerichtlinie: Neu sollen Mitgliedstaaten Migranten/Flüchtlingen, die sich registriert und einen Asylantrag gestellt haben, einen Wohnort zuweisen können. Ferner sollen diese Menschen dazu verpflichtet werden können, sich regelmässig bei den Behörden zu melden. Wer gegen diese Verpflichtungen verstösst, soll in Gewahrsam genommen werden können. Zudem sollen die Menschen spätestens sechs Monate nach Einreichen des Asylantrages Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
- Keine Einigung ist bis anhin bei der Reform des Dublin-Systems erzielt worden. Grossen Widerstand gibt es insbesondere gegen die Idee, Flüchtlinge nach ihrer Ankunft auf die Mitgliedstaaten umzuverteilen. Vor allem die Visegrad-Staaten wollen davon nichts wissen. Sie setzen stattdessen auf den rigorosen Schutz der Aussengrenzen. Der Gipfel diese Woche soll der gesamten Asylreform neuen Schub verleihen.
Zur aktuellen Debatte über mögliche Grenzschliessungen in Deutschland:
Darf das Land registrierte Migranten / Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen?
Die Position Seehofers: Der deutsche Innenminister Horst Seehofer will Migranten/Flüchtlinge, die in einem anderen Land europäischen Boden betreten haben, sich dort registriert haben, dann aber doch weiter bis nach Deutschland ziehen, an der deutschen Grenze zurückweisen.
Darf er das? Wenn die Menschen in Deutschland einen Asylantrag stellen, darf er das nicht. Normalerweise ist jenes europäische Land für die Menschen zuständig, welches der Flüchtling/Migrant als erstes betreten und sich registriert hat. Aber nicht immer.
Deshalb muss Deutschland im Rahmen des Dublin-Verfahrens abklären, ob nicht doch Deutschland für das Verfahren zuständig ist. Gründe können etwa sein, wenn es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, oder wenn ein Antragsteller bereits Familienangehörige in Deutschland hat.
Die Position Merkels: Die deutsche Kanzlerin Angel Merkel wehrt sich gegen Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Sie hat sich deshalb Zeit für eine Lösung in Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten ausbedungen. Merkel selber sagt, dass eine gesamteuropäische Lösung am EU-Gipfel nicht realistisch sei, sie setzt deshalb auf bilaterale Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten.
Was ist hier möglich? Gemäss der Dublin-Verordnung können Mitgliedstaaten untereinander bilaterale Vereinbarungen abschliessen. In der Verordnung steht dazu: «Die Mitgliedstaaten können untereinander bilaterale Verwaltungsvereinbarungen bezüglich der praktischen Modalitäten der Durchführung dieser Verordnung treffen, um deren Anwendung zu erleichtern und die Effizienz zu erhöhen.» Solch bilaterale Vereinbarungen dürfen sich also nur auf «die praktischen Modalitäten der Durchführung» beziehen.
Das heisst, dass die Vereinbarungen den Rahmen der Dublin-Verordnung nicht sprengen dürfen. Daraus folgert das Deutsche Institut für Menschenrechte: «Eine Vereinbarung, der zufolge Deutschland Menschen, die Asyl suchen, einfach an der Grenze zurückweisen könnte, wäre daher nicht zulässig.» Es ist also offen, was Merkel mit solch bilateralen oder trilateralen Abkommen erreichen würde. Auch deutsche Diplomaten sehen in diesen Abkommen keine Wunderwaffe gegen die Sekundär-Migration.