US-Präsident Donald Trump hat am Dienstag das 2015 mit dem Iran abgeschlossene Atombeschränkungs-Abkommen faktisch gekündigt. Bis auf Israel und Saudi-Arabien sind die Reaktionen der Welt auf Trumps Ankündigung ablehnend. Oliver Thränert ist Spezialist für Sicherheitspolitik. Er erklärt im Interview, warum diese Reaktionen nicht erstaunen.
SRF News: Was bedeutet der US-Rückzug aus dem Atomabkommen?
Oliver Thränert: Der Rückzug ist ein grosser Rückschlag. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Abkommen in der jetzigen Form beibehalten wird, ist ohne die Amerikaner gering.
Was sind die nächsten Schritte von Iran?
Im Iran gibt es verschiedene Kräfte. Es gibt diejenigen, die schnell aussteigen – vor allem die Revolutionsgarde – oder sogar wieder ein Atomwaffenprogramm starten wollen. Andere Kräfte drängen auf Zurückhaltung. Sie müssen auch beachten, dass Russland und China Vertragspartner sind. Auch da bestehen Interessen. Iran will von Russland vor allem Rüstungsgüter beziehen und es gibt eine Zusammenarbeit bei der zivilen Nutzung der Kernenergie. Der Iran hat also ein Interesse daran, nicht ruckartig von Atomabkommen abzukommen.
Sondern?
Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass sich Iran schleichend daraus verabschiedet. Sie werden die internationalen Inspektoren nicht Knall auf Fall aus dem Land verweisen, aber langsam wieder in die Urananreicherung einsteigen. Und das sind erste Schritte in Richtung Atomwaffen.
Die anderen Vertragspartner können sich ja daran halten...
Das ist sicher für die Iraner ein Aspekt, der zu berücksichtigen ist. Denn es sind wichtige Handelspartner. Aber natürlich: Iran schaut in erster Linie in Richtung Amerika. Es wird im Iran Stimmen geben, die sagen: ‹Es hat sich gezeigt, dass wir solche Vereinbarungen nicht mehr eingehen sollten. Wir sollten unseren eigenen Weg gehen und unser Atomprogramm wieder hochfahren.›
Mit welchen innenpolitischen Auswirkungen rechnen Sie im Iran?
Es werden jene Kräfte gestärkt, die radikal sind. Diese haben Präsident Rohani schon immer für das Abkommen kritisiert. Diese Stimmen werden nun anführen, dass man sich nicht auf die Amerikaner verlassen kann. Und diese Kräfte, die auf militärische Stärke setzen, werden dadurch gestärkt.
Es besteht die Gefahr, dass es wieder ein iranisches Atomwaffenprogramm geben könnte.
Also eigentlich das Gegenteil von dem, was man wollte?
Das eigentliche Ziel des Abkommens ist, dass Iran kein Zugang zu einer Atomwaffe bekommt. Mit dem Abkommen hat man vor allem Zeit gewonnen. Das wichtigste war, dass Iran im Zaum gehalten wurde. Wenn man die Box jetzt öffnet, und Iran aus diesem Abkommen entlässt, dann besteht natürlich die Gefahr, dass es wieder ein iranisches Atomwaffenprogramm geben könnte.
Welche Risiken ergeben sich für die Region?
In der Region ist es so, dass wir eine Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und Iran haben. Es besteht also das Risiko, dass auch Saudi-Arabien eine Atomwaffe fordert. Und es herrscht auch die Gefahr, dass Israel miteinbezogen wird. Das ist eine Situation die sich sehr eskalierend auswirken kann.
Wenn die Amerikaner nicht mitmachen, wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Koalition zu schmieden.
Kein Land hat Interesse an einer Eskalation. Da wird sich diese doch auch verhindern lassen?
Das wird schwierig werden. Das war ja gerade die Ausgangssituation. Wir hatten einen amerikanischen Präsidenten, der unbedingt verhindern wollte, dass Iran eine Atombombe baut. Die EU wollte das schon lange, auch China und Russland haben kein Interesse an einer Atommacht Iran. Aber wenn die Amerikaner nicht mitmachen, dann wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Koalition zu schmieden.
Warum eigentlich nicht. Würden denn neue US-Sanktionen den Iran dermassen schmerzen?
Wirtschaftlich nicht unbedingt. Denn die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen USA und dem Iran sind sehr gering. Die USA haben ja schon seit 1979 viele Sanktionen ergriffen. Insofern sind sich die Iraner daran gewöhnt. Aber die Hoffnung war ja, dass sich durch das Abkommen für die iranische Wirtschaft Vorteile erzielen lassen. Und wenn mit Amerika diese Annäherung von vornherein nicht geschehen wird, dann gibt es für den Iran auch keine Anreize, sich kooperativ in der Atomfrage zu zeigen.
Was für Möglichkeiten haben die Europäer?
Nun, die Europäer könnten weiterhin ihre Sanktionen aussetzen. Aber sie sind natürlich auch gut beraten, nicht zuletzt wegen der transatlantischen Beziehungen, die kritischen Punkte des Abkommens anzusprechen. Aber das wird ein schwieriges Unterfangen. Und es gibt kritische Punkte, insbesondere, dass das Raketenprogramm nicht inbegriffen ist.
Sehen Sie keine Möglichkeit, das Abkommen beizubehalten und trotzdem nachzubessern?
Das ist sehr schwierig, weil die Iraner ohne die Amerikaner keinen Anreiz zu neuen Vereinbarungen haben. Für sie hat sich gezeigt, dass das Papier nichts wert ist.
Ist denn Nachbesserung gar keine Option?
Wenn es eine solche Möglichkeit gibt, dann jene, die der französische Präsident Emmanuel Macron ins Spiel gebracht hat, wonach man einen neuen Vertrag anpeilt. Darin soll dann sowohl die Beschränkung des Raketenprogramms auf den Tisch kommen als auch die Machtrolle des Iran in der Region – das heisst im Irak, in Syrien, im Jemen und anderswo. Denn das ist das, was berechtigterweise auch von Israel als eine Bedrohung wahrgenommen wird.
Wie beurteilen Sie die Chancen einer solchen Nachbesserung?
Das wird sehr, sehr schwierig. Denn Iran hat wenig Anreize und es gibt starke Kräfte im Land, die lieber heute als morgen wieder zum Atomprogramm übergehen wollen. Und die sich auch die Machtposition in der Region nicht wegverhandeln lassen wollen. Das gleiche gilt für das Raketenprogramm. Dieses ist ein wichtiger Faktor für die Revolutionsgarde, für das Militär, und insofern ist das hartes Brot für Leute, die etwas verhandeln wollen.
Es dürfte ungefähr ein Jahr dauern, bis der Iran Atomwaffen bauen könnte.
Gibt es keine Alternativen?
Wenn man das Abkommen nicht mehr einhält, wenn sich Amerika aus dem Abkommen zurückzieht, dann ist die Gefahr einer Eskalation durchaus gegeben. Dann wird auch Iran sich schleichend zurückziehen und auch Saudi-Arabien wird darauf reagieren. Dann besteht auch die Möglichkeit, dass die Trump-Administration sich überlegt, militärisch gegen das Atomprogramm vorzugehen. Es gibt also eine ganze Fülle von Gefahren, die damit verbunden sind.
Wie nah war Iran am Bau der Atomwaffe?
Dazu ist Quellenlage nicht ganz eindeutig. Sie haben Trägersysteme mit ungefähr 1000 Kilometer Reichweite, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden könnten. Sie haben das Wissen, wie man solche Sprengköpfe baut. Und sie haben die Fähigkeit und das Wissen, Uran anzureichern. Die Einschätzungen variieren etwas, es dürfte ungefähr ein Jahr dauern, bis der Iran Atomwaffen bauen könnte.
Das Gespräch führte Pasquale Ferrara.