Ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA nimmt derzeit das grösste Atomkraftwerk Europas unter die Lupe. Das AKW Saporischja wird von ukrainischem Personal betrieben, ist aber russisch besetzt. Es steht immer wieder unter Beschuss. Vor einiger Zeit schon forderte die Ukraine eine unabhängige Untersuchung. Wie diese nun verläuft, erläutert der diplomatische Korrespondent Fredy Gsteiger.
SRF News: Was konnte bisher untersucht werden?
Fredy Gsteiger: Es ist ein erster Eindruck nach einem Tag. Rafael Grossi, Generaldirektor der UNO-Atombehörde IAEA, hat gesagt, die Experten hätten sich einen groben Überblick verschaffen können. Sie konnten bei diesem Atomkraftwerk mehrere physische Schäden feststellen. Natürlich durch die Kriegshandlungen. Details zu diesen Einschätzungen will die IAEA am Wochenende geben.
Angehörige der IAEA und der Vereinten Nationen sind für diese Inspektionen vor Ort. Was sind das für Fachleute?
Es sind Wissenschaftler, Experten für nukleare Sicherheit, Strahlenexperten beispielsweise. Die UNO kommuniziert die Herkunftsländer nicht; sie haben die UNO-Interessen wahrzunehmen und nicht die ihrer Herkunftsländer. Es wurde spekuliert, dass bewusst keine amerikanischen und britischen Experten mit bei dieser Inspektion seien. Das entspräche einer Forderung Russlands. Offiziell wurde das nicht bestätigt.
Die Fachleute bleiben mehrere Tage. Wie kam es zu diesem Entscheid?
Das ist eine Entscheidung des IAEA-Chefs Rafael Grossi. Er hat den Russen durchaus mutig die Stirn geboten und gesagt, ein Tag genüge nicht, man bleibe so lange wie nötig. Und das werde sicher mehrere Tage dauern.
Rafael Grossi hat den Russen durchaus mutig die Stirn geboten.
Einzelne der IAEA-Experten haben das Atomkraftwerk inzwischen wieder verlassen. Etliche sind aber geblieben. Laut IAEA ist es denkbar, dass zwei bis drei Experten dauerhaft dort stationiert werden.
Erfolgte die Einreise ohne Probleme und konnten Streitigkeiten zu Reisemodalitäten beigelegt werden?
Nein. Weder wurden die Streitigkeiten beigelegt, noch erfolgte die Reise ohne Probleme. Die Kampfhandlungen wurden nicht eingestellt. Es ist allerdings nicht klar, welche Seite, die ukrainische oder die russische oder beide, weiterhin Angriffe führten. Die Mission der IAEA wurde während Stunden aufgehalten.
Das ist alles andere als eine Routineinspektion.
Sehr ungewöhnlich ist auch, dass diese Mission mit gepanzerten UNO-Fahrzeugen stattfindet und die Inspektoren Splitterschutzwesten tragen müssen. Das ist alles andere als eine Routineinspektion, wie die IAEA das seit Jahrzehnten in hunderten von Fällen macht.
Wie riskant beurteilen Sie diese Inspektion?
Sie ist ziemlich riskant. Es ist respektheischend, dass die Fachleute sich bereit erklären, diese Mission trotz der Gefahren zu machen. Es handelt sich nicht um professionelle und ausgebildete Soldaten und Kämpfer. Das sind Wissenschaftler, Zivilisten, Nuklearexperten.
Was kann diese Mission bewirken?
Sie kann eine solide Bestandsaufnahme liefern: Wo Probleme sind, wie gefährlich das AKW Saporischja ist, wo Ersatzteile nötig sind, wo es Spezialisten bräuchte. Die Mission kann auch einen gewissen politischen Druck aufbauen, die Angriffe einzustellen und die Anlage besser zu schützen.
Die Mission kann eine solide Bestandsaufnahme liefern.
Was sie klar nicht bewirken kann, um die Sicherheit des AKWs zu erhöhen: den russischen Abzug oder zumindest einen Waffenstillstand, eine Demilitarisierung rund um das AKW. Das ist nicht die Aufgabe und entspricht auch nicht den Kompetenzen der UNO-Atombehörde.
Das Gespräch führte Nina Gygax.