Praktisch zeitgleich haben die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete internationale Kampagne gegen Atomwaffen Ican und das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri neue Zahlen zu Atomwaffen publiziert.
Fast 83 Milliarden Dollar haben die neun Länder, die Atombomben besitzen, im Vorjahr dafür ausgegeben. Das sind 158'000 Dollar pro Minute. Die Ausgaben für Atomwaffen steigen seit nunmehr drei Jahren in Folge; 2022 im Vorjahresvergleich um drei Prozent.
Tatsächlich rüsten derzeit praktisch alle Nuklearmächte kräftig auf. Allein im Vorjahr erhöhten gemäss den Zahlen von Ican China und Russland ihre Ausgaben für Atomwaffen um gegen sechs Prozent, Indien gar um fast 22 Prozent und Grossbritannien um elf Prozent.
Russland und die USA an der Spitze – noch
Noch befinden sich neunzig Prozent der weltweit rund 12'500 atomaren Gefechtsköpfe in amerikanischen oder russischen Händen. Doch China will jetzt seine Nuklearstreitkräfte auf das Niveau der beiden grössten Atommächte bringen und wird das in wenigen Jahren schaffen. Nordkorea wiederum besitzt heute um die dreissig Atombomben und genug spaltbares Material für fünfzig bis siebzig weitere.
Grossbritannien erhöhte die Obergrenze für seine Atomgefechtsköpfe von 225 auf 260, Frankreich investiert in neue U-Boote und Raketen, die für Atombombenabschüsse taugen. Die USA vergrössern zwar ihre Arsenale nicht, stecken indes zig Milliarden in deren Modernisierung. Es steigt auch die Anzahl nuklearer Gefechtsköpfe, die nicht einfach irgendwo lagern, sondern in kürzester Zeit einsatzbereit wären.
Das Risiko eines Atombombeneinsatzes dürfte heute höher sein als jemals seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Das hängt keineswegs nur mit der schieren Anzahl immer modernerer und damit zerstörerischer Atombomben zusammen. Sondern vor allem auch mit der weltpolitischen Lage.
Atomare Rüstungskontrolle binnen weniger Jahre zerstört
Die bisherigen atomaren Abrüstungsverträge wurden aufgekündigt. Zuletzt «New Start», ein Vertrag, in dem sich Moskau und Washington zu einer Reduzierung ihrer Arsenale an Atomwaffen mit grosser Reichweite verpflichtet hatten. Die über Jahrzehnte mühsam aufgebaute Architektur der atomaren Rüstungskontrolle wurde binnen weniger Jahre weitgehend zerstört.
Dabei blendet US-Präsident Joe Biden aus, dass auch die USA derzeit ihre Atomarsenale zwar nicht vergrössern, aber für zig Milliarden modernisieren. Das Geschäft für Firmen, die ihr Geld mit Atomwaffen verdienen, blüht. Sie geben derzeit, wiederum gemäss Zahlen von Ican, allein fürs Lobbying weit über hundert Millionen Dollar pro Jahr aus.
Fortschritte gerade bei grossen Spannungen?
Bleibt die Hoffnung. Früher gab es manchmal genau dann Fortschritte, wenn die Spannungen besonders gross waren – etwa nach der Kuba-Raketenkrise 1962. Allerdings stehen momentan die Aussichten für eine Wiederaufnahme atomarer Abrüstungsverhandlungen schlecht.
Russen und Amerikaner verhandeln derzeit nicht miteinander. China weigert sich grundsätzlich, sich an Abrüstungsverhandlungen zu beteiligen. Nordkorea hört auf gar niemanden. Die Atomverhandlungen mit dem Iran sind an einem toten Punkt. Und die G7-Staaten versäumten es auf ihrem jüngsten Gipfel in Hiroshima, eine griffige Erklärung für atomare Abrüstung zu beschliessen.
Keine Verhandlungen bedeutet zugleich: kein Aufbau von Vertrauen und immer weniger Transparenz darüber, was der Gegner tut. All das erhöht das Risiko.