Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki erfanden Atomwissenschaftler 1947 die Weltuntergangsuhr. Sie zeigt symbolisch, wie nah die Welt vor einem Atomkrieg steht. Heute stehen die Zeiger auf 100 Sekunden vor 12 – so kurz davor wie noch nie.
Als US-Präsident Joe Biden vor seiner Wahl im US-Sender PBS gefragt wurde, ob er eine nukleare Auseinandersetzung befürchte, antwortete er, nach langem Zögern: «Ja. Die Lage ist bedrohlich.» Er mache sich Sorgen, «dass jemand eine Situation falsch einschätzt und plötzlich Atombomben eingesetzt werden».
UNO-Generalsekretär António Guterres fordert alle Staaten auf, dem im Januar in Kraft getretenen UNO-Atomverbotsvertrag beizutreten. Doch gerade bei jenen Regierungen, die selber Atomwaffen besitzen, findet er kaum Gehör. Diese rüsten mehrheitlich auf- statt ab.
Immer mehr Experten rechnen damit, dass sich der Kreis der Atommächte in den nächsten Jahren erweitert. Für Mark Fitzpatrick, früher im US-Aussenministerium verantwortlich für das Thema Massenvernichtungswaffen und heute Experte bei der Londoner Strategiedenkfabrik IISS, sind Iran und Saudi-Arabien die wahrscheinlichsten Neuzugänge. Sobald Iran Atomwaffen besitze, würden weitere Regionalmächte nicht zuschauen, sondern reagieren.
Gegenüber Teheran erreichte US-Präsident Donald Trump mit seiner «Politik des maximalen Drucks», dass sich Iran heute näher an der Atombombe befindet als zuvor, als das von ihm aufgekündigte Atomabkommen noch galt. Dieser Tage signalisieren Washington wie Teheran, sie wollten zurückkehren zum Atomabkommen. Doch beide verlangten, dass die andere Seite den ersten Schritt macht, sagt Fitzpatrick: «Der Kompromiss müsste lauten: Beide bewegen sich parallel.»
Im Fall Nordkoreas sei es undenkbar, dass das Kim-Regime auf seine Atombomben und damit seine Überlebensgarantie verzichtet, sagt Fitzpatrick: «Das bestmögliche Ergebnis wäre, wenn die Regierung Biden eine Begrenzung des nordkoreanischen Arsenals erreichen könnte.»
Die USA und Russland, die zusammen rund neunzig Prozent aller Atomwaffen weltweit besitzen, könnten sich massive Abrüstungsschritte leisten, ohne ihr Abschreckungspotenzial zu gefährden. Unter Biden dürften die USA einen entsprechenden Vorstoss lancieren.
Russland, das wirtschaftlich erheblich unter Druck steht und sich seine Hochrüstung eigentlich gar nicht leisten kann, könnte darauf einsteigen. Angesichts des Klimas des Misstrauens ist der Ausgang völlig offen.
China sperrt sich
Zudem wollen die USA unbedingt China mitverpflichten, wenn es um neue Rüstungsabbau- und -kontrollverträge geht. Doch Peking verweigert sich solchen Ansinnen stur. Laut dem IISS-Experten nicht ganz grundlos. Denn China besitzt noch gar keine Langstreckenatomwaffen.
Hingegen rüstet China im Mittelstreckenbereich enorm auf. Dabei ist klar: Je stärker China aufrüstet, je aggressiver es auftritt, umso eher streben auch Japan oder Südkorea nach eigenen Atomwaffen. Technologisch wären sie in kurzer Zeit imstande, solche herzustellen.
All das wird im Sommer bei der UNO auf der Überprüfungskonferenz zum Atomsperrvertrag von 1970 debattiert. Der Vertrag verpflichtet die Atommächte zur Abrüstung und soll verhindern, dass neue Staaten Atombomben erwerben. Fortschritte wären dringlich. Wahrscheinlich sind sie nicht. Denn ein neues atomares Wettrüsten ist bereits im Gang.