Die Geschichte erinnert ans wilde Russland der 1990er-Jahre: Entfesselte Oligarchen, mafiöse Verstrickungen und eine Justiz, die wegschaut. Doch die Geschichte ereignete sich, so sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, in der beschaulichen Slowakei.
Der Investigativjournalist Jan Kuciak berichtet auf dem Internetportal Aktuality.sk regelmässig über mutmasslichen Steuerbetrug. Er ist einflussreichen Unternehmern auf der Spur. Unverblümt wird er bedroht, auch öffentlich.
Dann werden Kuciak und seine Verlobte in ihrem Privathaus eiskalt hingerichtet. Der junge Journalist stirbt durch eine Kugel in die Brust, seine Partnerin durch einen Kopfschuss. Im Dörfchen Velka Maca, in dem das Paar erst seit kurzem wohnte, herrscht Fassungslosigkeit – wie im ganzen Land.
Kuciak wurde schon im Vorfeld der Tat bedroht und hat sich an die Polizei gewandt. Es ist aber überhaupt nichts passiert.
Das wahrscheinlichste Motiv für den Mordanschlag seien die unliebsamen Recherchen gewesen, sagte der Polizeipräsident von Bratislava. Im Blick hatte der 27-Jährige Journalist vor allem prominente Unternehmer mit Geschäftsverbindungen zu den regierenden Sozialdemokraten, aber auch zum organisierten Verbrechen.
Die Geister der Vergangenheit
Der Slowake Tibor Macak ist Generalsekretär des europäischen Journalistenverbandes. Für ihn kam die Attacke auf seinen Kollegen nicht überraschend: «Er wurde schon im Vorfeld bedroht und hat sich an die Polizei gewandt. Es ist aber überhaupt nichts passiert.»
Vor knapp dreissig Jahren ist der Eiserne Vorhang gefallen, bald vierzehn Jahre ist die Slowakei Mitglied der Europäischen Union. Gehören solche Vorgänge trotzdem zum Alltag im Land? Macak relativiert: Die Polizei habe tatsächlich eine «eigene Dynamik», reagiere manchmal schnell, dann wieder langsam: «Das ist die post-kommunistische Realität in der Slowakei. Aber wir sind in der EU und glauben daran, dass wir in einem Rechtsstaat leben.»
Premier Robert Fico hat uns als schmutzige anti-slowakische Prostituierte bezeichnet.
Der Journalist ist überzeugt, dass die Ermittlungsbehörden nicht umhinkommen werden, die Hintergründe und Hintermänner der Tat auszumachen: «Kuciaks Ermordung hat in der slowakischen Gesellschaft zu einer riesigen Aufregung geführt, wie es sie noch nie gegeben hat.»
Allerdings: In der Slowakei hat die Verfolgung von Medienschaffenden durchaus Tradition. Unter dem zunehmend autoritär regierenden Premierminister Vladimir Mečiar (1991-1998) habe es immer wieder Angriffe von Politikern auf Journalisten gegeben: «Sie wurden beschimpft und auch physisch attackiert.»
Auf Mečiar sei eine «ganz ruhige Phase» für Journalisten gefolgt. Diese fand allerdings unter dem aktuellen Premier Robert Fico ein jähes Ende: «Er hat eine ganz besondere Beziehung zu Journalisten. Zuletzt hat er uns als schmutzige anti-slowakische Prostituierte bezeichnet.»
Nun verurteilte Fico den Anschlag auf Investigativjournalist Kuciak als «beispiellosen Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie in der Slowakei». Der Premier kündigte eine Untersuchung an und will Hinweise, die zur Klärung des Verbrechens führen, mit einer Million Euro belohnen.
Die alten Seilschaften existieren weiter
Auf die Frage, ob dieses Gebaren nicht scheinheilig sei, gibt Journalist Macak eine einfache Antwort: «Das alles spricht für sich selbst. Fico spielt meisterhaft auf der Klaviatur des Populismus.»
Zu den zweideutigen Tönen des Premiers und der zweifelhaften Polizeiarbeit kommt eine Justiz, in der weiter die Geister der Vergangenheit wirken: «Wir leben zwar in einem Rechtsstaat. Aber wir leben auch in einem post-kommunistischen Land: Die Seilschaften von damals bestehen unter den alten Herren in der Justiz noch immer», sagt Macak.
Der Journalist schliesst, dass das derzeitige politische Klima in der Slowakei nicht eben förderlich für investigativen Journalismus sei: «Aber das wird uns nicht aufhalten.» Der Fall Kuciak zeige, dass in der Slowakei etwas nicht stimme – und die Aufgabe der Journalisten sei es, genau das aufzudecken.