Vor einem Jahr hat ein australischer Rassist in der neuseeländischen Stadt Christchurch Anschläge auf zwei Moscheen verübt. 51 Gläubige starben in der folgenschwersten Terrorattacke in der Geschichte Neuseelands. Die Bluttat habe das Land stark verändert, sagt SRF-Australienmitarbeiter Urs Wälterlin.
SRF News: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern erhielt weltweit Respekt und viel Support für ihr mitfühlendes Verhalten nach dem Anschlag. Die neuseeländische Bevölkerung nannte die 39-Jährige «Mutter der Nation». Hat sie dieses Image immer noch?
Urs Wälterlin: Im Zusammenhang mit dem Attentat sicher. Sie reagierte damals so anders, als das andere Regierungschefs machen würden. Sie gebrauchte keine kernigen Worte des harten Durchgreifens, es gab keine schnelle Vorfahrt in der Limousine und keine Kranzniederlegung. Dafür umarmte sie die Angehörigen der Opfer und trug dazu ein muslimisches Kopftuch. Das ist den Leuten in Erinnerung geblieben.
Jacinda Ardern zeigte, dass die Muslime zu Neuseeland gehören.
Ardern zeigte mit ihrem Verhalten nicht nur den Betroffenen, dass sie zu Neuseeland gehören. Sie zeigte damit auch jenen, die Sympathien für den Täter hatten, dass die Muslime zu Neuseeland gehören. «They are us», sagte Ardern.
Gab es keine Kritik an Ardern nach dem Attentat?
Doch. Sie liess halbautomatische Waffen verbieten – inzwischen wurden landesweit fast 61'000 solcher Waffen eingezogen. Das geht natürlich nicht ohne Widerstand. Trotzdem geschah die Waffenabgabe erstaunlich reibungslos. Selbst viele Schützen sagten, es sei schlichtweg nicht nötig, solche Hochleistungswaffen zu besitzen.
Der Täter übertrug seine Tat über eine Helmkamera live im Internet. Ardern stiess deshalb eine Initiative an, um solches in Zukunft zu verhindern. Wo steht sie heute mit ihren Bemühungen?
Sie startete die Initiative zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dabei heizte sie den Betreibern sozialer Plattformen tüchtig ein. Damit leitete sie durchaus ein weltweites Umdenken ein: Seither können die Firmen wie Twitter oder Facebook nicht mehr so einfach tun und lassen, was sie wollen. Es ist eine Verhaltensänderung feststellbar, indem sie in ähnlichen Fällen inzwischen viel schneller reagieren und solche Übertragungen blockieren. Trotzdem gibt es noch viel zu tun – und Ardern wird in dem Prozess weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Im September wählt Neuseeland ein neues Parlament und damit auch eine Regierung. Ardern muss gemäss Umfragen damit rechnen, dass ihre Labour-Regierung gestürzt wird. Wieso diese Entwicklung, obschon Ardern eine Art Galionsfigur geworden ist?
Das ist in der Tat erstaunlich. Denn mit ihrem «Wohlfühl-Budget» hat sie gezeigt, dass ihre Prioritäten beim Volk liegen und nicht unbedingt beim wirtschaftlichen Wachstum. Auch soll dem Klimaschutz mehr Bedeutung beigemessen werden, wie auch dem Kampf gegen Kinderarmut oder jenem gegen häusliche Gewalt.
Diverse Spendenskandale haben die Glaubwürdigkeit der Koalitionsregierung unterwandert.
Doch dies alles wurde vom Fehlverhalten diverser Regierungsmitglieder ihrer Koalition überschattet. Es gab diverse Spendenskandale, die die Glaubwürdigkeit der Regierung unterwanderten. Das zeigt auch, wie fragil Arderns Regierungsbündnis mit den Grünen und der populistischen New Zealand First ist.
Das Gespräch führte Noëmi Ackermann.