Auschwitz ist hübsch. Da ist der Marktplatz, winterstill, gesäumt von Häusern in Pastell, hier ein Erker, dort ein Schnörkel. Da ist aber auch ein Schatten, hier ein Wandbild mit orthodoxen Juden aus alter Zeit, dort eine Tafel, die an ihr Verschwinden erinnert.
Hier stand das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, hier mordeten die Nazis, wie niemand sonst je gemordet hat. Ein alter Mann spaziert vorbei, ein Berufsleben lang hat er für die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gearbeitet: «Zu viele Menschen in der Welt assoziieren die Stadt Oświęcim mit dieser tragischen Geschichte.»
Oświęcim, so heisst die Stadt auf Polnisch. Es gibt auch hier Menschen, die fast nur an die Jahre des Mordens denken. Janina Paszek zum Beispiel, 94 – Rosenkränze sind der Schmuck ihrer kleinen Wohnung. 13 war sie, als 1939 die Deutschen kamen. In drei Monaten lernte sie Deutsch – vergessen hat sie die Sprache nie. «Das, was ich erzähle, habe ich vor den Augen, als wäre es wie gestern.»
Fische im Fluss erstickten an der Asche der Toten
Dabei würde sie gerne vergessen, sogar den Namen ihrer Stadt: «Ich wurde hier in Oświęcim und nicht in Auschwitz geboren. Ich hasse diesen Namen, Auschwitz,» sagt Paszek weiter.
Janina Paszek war nie im Lager, aber sah das Grauen aus nächster Nähe. Sie sah halb Verhungerte in der Stadt schuften für die Nazis, gab ihnen ihr Frühstück. Sie brachte unter Lebensgefahr Nachrichten, die Inhaftierte irgendwie aus dem Lager geschmuggelt hatten, zu den Priestern der Stadt. Sie sah, wie die Fische im Fluss starben, weil die Deutschen zu viel Asche verbrannter Leichen hineinschütteten.
Janina Paszek, das Kind, musste arbeiten, für die IG Farben, die Firma in Oświęcim, die Geld verdiente mit dem Massenmord. Sie versuchte, höflich zu sein im Büro. «Immer wieder habe ich gesagt: ‹Guten Tag, Guten Morgen, Auf Wiedersehen›» Eines Tages redete ein Kollege auf Polnisch auf sie ein. «Wenn du nicht ‹Heil Hitler› sagst, könntest auch du im Lager landen...» Das schaffte sie nicht, stattdessen sagte sie von nun an: Grüss Gott.
Erinnerungen, neben denen Vieles verblasst ist, was nach dem Krieg geschah. Und auch Vieles, was vor dem Krieg war. Damals, vor 1939, waren 60 Prozent der Einwohner Oświęcims Juden – Janina Paszek war nicht befreundet mit ihnen, aber man lebte ruhig nebeneinander her. Heute ist kein Jude mehr unter den 40'000 Menschen hier.
Natürlich, wir hören Stereotype, im Stil von ‹in welcher Baracke wohnst du denn?›. Aber wir können doch auch stolz sein, dass wir das Andenken an die Opfer in Ehren halten – und trotzdem eine moderne Stadt geworden sind.
Die Vergangenheit verschwindet nicht unter der Erde – aber Oświęcim ist deswegen nicht erstarrt. Vor dem Einkaufszentrum, dem Kino finden Viele, ihre Stadt sei heute mehr als das Mahnmal.