Wieso stimmt Taiwan über die Homoehe ab? Taiwan ist eines der wenigen Länder mit einer sehr lebendigen Demokratie in der Region. Und die Regierung hat die Anforderungen für Referenden stark gelockert: Sie hat die Zahl der nötigen Unterschriften reduziert und die geforderte Wahlbeteiligung gesenkt.
In der Folge haben zahlreiche Gruppen Referenden gestartet. «So etwas hat es in Asien bisher noch nicht gegeben», sagt SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi. Insgesamt wird am Samstag über zehn Vorlagen abgestimmt. Es geht dabei unter anderem um Kernkraftwerke, Nahrungsmittelimporte, den Auftritt an den Olympischen Spielen und den Sexualunterricht an Schulen.
Gab es im Vorfeld hitzige Debatten darüber? Seit Wochen sind die Medien voll von Artikeln für und gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Auch auf den Social-Media-Kanälen wird oft sehr heftig gestritten. Liberale und konservative Gruppen beschimpfen sich gegenseitig. Befürworter und Gegner finden sich aber in beiden grossen politischen Parteien des Landes.
Die Gegner der Gleichstellung befürchten, dass die Geburtenrate in Taiwan weiter sinken werde.
Der Graben gehe mitten durch die Gesellschaft, sagt Aldrovandi, und er entzweie Familien. «Die Gegner der Gleichstellung sagen zum Beispiel ziemlich offen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen widernatürlich seien, oder dass man befürchte, dass etwa die Geburtenrate in Taiwan weiter sinken werde.»
Wie lauten die Abstimmungsprognosen? In der letzten Umfrage hat sich eine Mehrheit für die Festlegung der Ehe von Mann und Frau ausgesprochen. In früheren Umfragen hat es aber auch eine Mehrheit gegeben, die gesagt hat, man sei zumindest nicht gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare. Deshalb ist der Ausgang am Tag vor der Abstimmung noch völlig offen.
Es gab in der Vergangenheit schon mehrere Versuche für die Eheöffnung in Taiwan: einerseits über Gesetzesentwürfe im Parlament, andererseits über die Gerichte. Letztes Jahr wurde entschieden, dass das faktische Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare der Verfassung widerspricht und aufgehoben werden müsse. Mit dem Referendum könnte sich das wieder ändern.
Hat es eine Signalwirkung auf andere Länder? «Jein», sagt der Nordostasien-Korrespondent. «Beim grossen Nachbarn China eher nicht, dort gibt es weder Wahlen noch Abstimmungen. Und in Hongkong ist man auch noch nicht soweit.» In Korea sei die Gesellschaft noch viel konservativer als in Taiwan. «Aber in Japan vielleicht, dort gibt es je nach Ortschaft schon ein Zertifikat für gleichgeschlechtliche Paare.» Aber auch da würde eine Eheöffnung sicher noch eine Weile dauern, ist Aldrovandi überzeugt. «Was man sagen kann, ist, dass das Resultat in Asien sicher für Diskussionen sorgen wird.»