Es war abzusehen, dass Priti Patel, die britische Innenministerin, ein Gerichtsurteil vom Frühjahr unterstützen würde, das Assanges Auslieferung möglich macht. Die Konservative gilt als Hardlinerin. Sie hat lange Zeit sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe in Grossbritannien befürwortet. Die entscheidende Frage beim amerikanischen Auslieferungsbegehren für den derzeit im Belmarsh-Gefängnis in London inhaftierten Assange ist, ob den Australier in den USA ein faires Verfahren erwartet oder nicht.
Journalist oder Aktivist? Assange ist beides
Pressefreiheits- und Menschenrechtsorganisationen und natürlich seine Gattin und seine Freunde sind überzeugt, das sei nicht der Fall. Ihr Argument: Sobald aus US-Sicht Staatssicherheitsinteressen ins Spiel gebracht werden, wird ein harter Kurs verfolgt. US-Behörden haben vielfach klargemacht, Assange sei aus ihrer Sicht nicht einfach ein Journalist, der seine Arbeit verrichtete, vielmehr ein übler Verräter, ein Staatsfeind.
Tatsächlich ist Assanges sowohl Journalist als auch Aktivist. Er hat Sinnvolles getan, aber auch Fehler gemacht. Jedenfalls musste er sich bewusst gewesen sein, dass die Publikation von hunderttausenden von vertraulichen diplomatischen Depeschen illegal war. Und dass er dort die Namen von Leuten nicht geschwärzt hatte, die mit den Amerikanern etwa in Afghanistan zusammengearbeitet haben, war mehr als ein Lapsus. Mit deren Nennung hat er viele von ihnen gefährdet.
Stunde der Wahrheit kommt in den USA
Assanges Unterstützer argumentieren, das gerechtfertigte öffentliche Interesse an den «Wikileaks»-Publikationen sei entschieden grösser gewesen als das Interesse an der Geheimhaltung. Genau wegen dieser brisanten Abwägungsfrage sorgt der Fall nun seit mehr als einem Jahrzehnt weltweit für Aufregung. Dazu kommt: Assanges Schicksal – Anklagen, Gerichtsverfahren, Botschaftsasyl, Gefängnis, Auslieferungsstreit – gleicht einer Odyssee. Das löst Mitgefühl aus und eignet sich für eine Heldenlegende. Zumal das Vorgehen gegen ihn mitunter einer Hatz glich.
Klar ist: Wenn Assange den Verfahrensweg in Grossbritannien zu Ende beschritten hat und er tatsächlich an die USA ausgeliefert wird, dann erst kommt die Stunde der Wahrheit. Erst dann wird sich zeigen, wie fair die US-Justiz die Argumente gewichtet, die für und jene, die gegen ihn sprechen. Wird an ihm ein Exempel statuiert, kommt es zu einem exemplarisch harten Urteil, dann hat das eine abschreckende Wirkung auf hartnäckig recherchierende Journalisten – weit über die Vereinigten Staaten hinaus.