Der Friedensprozess in Kolumbien steht auf der Kippe. Ein ehemaliger Anführer der Farc, Jesús Santrich (bürgerlichem Name: Seusis Pausivas Hernández Solarte), wurde nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags mit der kolumbianischen Regierung beim Schmuggel einer grossen Mengen Kokain mit Ziel USA erwischt. Seine Auslieferung haben die USA bereits beantragt.
Die aus der Guerillagruppe hervorgegangenen Partei Farc reagiert darauf mit einer Drohung: «Mit der Festnahme unseres Genossen Jesús Santrich befindet sich der Friedensprozess an seinem kritischsten Punkt und könnte ein echter Misserfolg werden». SRF-Südamerika-Korrespondent Ueli Achermann erklärt die Hintergründe.
SRF News: Wie ist es zur Festnahme des Anführers der ehemaligen Guerillaorganisation Farc gekommen?
Ulrich Achermann: Die Staatsanwaltschaft in Kolumbien hat das Telefon eines Verwandten von Santrich abgehört. So ist man darauf gestossen, dass ein grösserer Schmuggel am Laufen ist. Man hat Ton und Videoaufnahmen von den Verhandlungen machen können, bei denen Santrich anwesend war.
Es war eine Falle der US-Drogenbekämpfungsbehörde.
Er hatte geglaubt, es gehe um eine Lieferung für das Siloa-Kartell in Mexiko. Tatsächlich war es aber eine Falle, die ihm die US-Drogenbekämpfungsbehörde gestellt hatte.
Jesús Santrich ist ein hochrangiger Vertreter der Farc. Wie reagiert die ehemalige Guerilla-Organisation auf diese Festnahme?
Sie ist ziemlich schockiert. Es heisst, die Zukunft des Friedensabkommens sei nicht mehr gewährleistet, weil Santrich – wenn sich das alles bestätigt, was die Staatsanwaltschaft gegen ihn in der Hand hat – an die USA ausgeliefert würde. Das wäre für die Farc absolut unakzeptabel.
Das Friedensabkommen, um das Kolumbien jahrelang gerungen hat, ist nun gefährdet?
Ich denke schon. Das ist die erste wirklich grosse Belastungsprobe für das Abkommen. Die Gefahr: Wenn Santrich tatsächlich ausgeliefert würde, könnten einigen der entwaffneten Kämpfer die Nerven durchgehen. Sie würden sich unter Umständen wieder in den Busch absetzen. Damit würden sie dem Staat und allen rechtsgerichteten Kräften in Kolumbien das Argument in die Hände spielen, dass militärische Aktionen gegen die Farc wieder angebracht seien.
Die Gewaltspirale, die man unterbrochen glaubte, könnte sich wieder zu drehen beginnen?
In diesem Fall ja. Es gibt Punkte in Zusammenhang mit diesem Friedensschluss, die noch mehr oder weniger in der Luft hängen und die noch nicht vollständig umgesetzt worden sind. Zurzeit steht dieses Friedensabkommen ziemlich unter Druck.
Ende Mai finden in Kolumbien Präsidentschaftswahlen statt. Der bisherige Präsident, Juan Manuel Santos, der die Friedensverhandlungen mit der Farc vorangetrieben hat, darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Gerät das Friedensabkommen durch die anstehende Wahl noch mehr unter Druck?
Es sieht jedenfalls danach aus. Ein Kandidat der Viehzüchter-Elite liegt bei den Umfragen in Führung. Er gibt sich nicht ganz so extremistisch wie der ehemalige Präsident Alvaro Uribe. Aber er ist auch kein Freund dieses Friedensabkommens.
Was bedeutet das konkret?
Die Sache muss sich erstmal klären: Wird dem Chef-Guerillero in Kolumbien der Prozess gemacht oder muss er damit rechnen, dass er mittelfristig an die USA ausgeliefert wird? Dass das Friedensabkommen wackelt, hat auch stark damit zu tun, dass der Inhalt dieses Abkommens nie wirklich in der Gesellschaft angekommen ist. Die Mehrheit der Kolumbianer hat den Eindruck, die Farc sei viel zu gut davongekommen. Die Bevölkerung möchte, dass man viel härter mit den ehemaligen Rebellen verfährt. Das könnte ein Faktor sein, der die Gewaltausbreitung begünstigen könnte.
Das Gespräch führte Markus Föhn.