Noch vorletztes Wochenende weilte Carles Puigdemont in Genf. Die Welt war in Ordnung – für den katalanischen Separatistenführer, aber auch für das schweizerische Aussendepartement: Es stehe ihm frei, sich in der Schweiz aufzuhalten und politische Reden zu halten, solange sich Puigdemont an die schweizerische Rechtsordnung halte, teilte das EDA mit.
Nachdem die spanischen Behörden einen internationalen Haftbefehl erlassen haben, stand Deutschland nun aber vor ganz anderen juristischen wie diplomatischen Herausforderungen: «Die Festnahme war juristisch zwingend», sagt der deutsche Strafrechtler Nikolaos Gazeas unmissverständlich. Denn: «Der europäische Haftbefehl zwingt alle EU-Mitgliedstaaten, ihn zu befolgen.»
Im Falle des EU-Mitglieds Dänemark, das Puigdemont unbehelligt durchquerte, sei man dem ehemaligen katalanischen Regierungschef möglicherweise schlichtweg nicht habhaft geworden, sagt Gazeas.
In Deutschland wiederum gelang dies. Dank deutscher Gründlichkeit? Wohl nur zum Teil. Wie nun publik wurde, könnte ein Hinweis spanischer Geheimdienstler, die Puigdemont bis zum Grenzübertritt verfolgten, ausschlaggebend gewesen sein.
Puigdemonts Festnahme war juristisch zwingend.
«Damit konnte Deutschland wohl auch nicht anders», sagt Gazeas. Denn die deutschen Behörden hätten sich andernfalls dem Vorwurf ausgesetzt, eine Festnahme zu vereiteln: «Das hätte für nicht geringe diplomatische Verquickungen gesorgt.»
Nun sitzt der Katalane in deutschem Gewahrsam. Wird Puigdemont nun auch tatsächlich ausgeliefert? «Im Ergebnis rechne ich mit einer Auslieferung. Allerdings nicht in vollem Umfang, wie Spanien sie verlangt hat», sagt Gazeas.
Denn: Sollte Deutschland Puigdemont an die spanische Justiz übergeben, stellt sich für den Juristen eine entscheidende Anschlussfrage: Unter welchem «Sachverhalt», der auch nach deutschen Recht strafbar ist, wird die Auslieferung angeordnet?
Konkret wirft Spanien dem ehemaligen katalanischen Regierungschef Rebellion, die Auflehnung gegen die Staatsgewalt und die Unterschlagung öffentlichen Gelder: «Die ersten beiden Straftatbestände sind nach meiner Einschätzung politische», sagt Gazeas.
Was ist eine «Rebellion»?
Nach seiner Bewertung sei die Rebellion nicht «auslieferungsfähig»: «Rebellion ist im deutschen Recht mit dem ‹Hochverrat› vergleichbar. Den kam man aber nur begehen, wenn man mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt ein bestimmtes Ziel verfolgt.»
Puigdemont habe aber mit friedlichen Mitteln für die Unabhängigkeit Kataloniens gekämpft. «Nach deutschem Recht wäre der Straftatbestand also nicht erfüllt.» Allerdings: «Bei der Unterschlagung öffentlicher Gelder sieht es wieder anders aus», so der Strafrechtler.
Sollte der katalanische Separatist allerdings «nur» unter diesem Straftatbestand ausgeliefert werden, würde das die spanische Justiz in eine delikate Lage bringen: «Die ‹Spezialität› ist ein sehr wichtiger Grundsatz im Auslieferungsrecht. Sie besagt, dass eine Person nur wegen der Delikte verfolgt werden darf, wegen der sie ausgeliefert wurde.»
Spanien ist nicht als Unrechtsstaat bekannt. (...) Aber ich frage mich, mit welcher Strenge und Objektivität die Strafverfolgung vorangetrieben wird.
Laut dem deutschen Juristen könnte Puigdemont demnach in Spanien nicht wegen «Rebellion» oder anderer politischer Delikte vor Gericht gestellt werden, sofern die deutschen Gerichte ihn nicht deswegen ausliefern.
Schreitet die Bundesregierung ein?
Die Bundesregierung hätte laut Gazeas zwar die Möglichkeit, bei der Auslieferung auf den Grundsatz der «Spezialität» zu verzichten: «Dann würde sie sich aber dem Vorwurf aussetzen, sich in einen innerpolitischen Konflikt einzumischen. Indem sie von sich aus bestimmt, dass eine Strafverfolgung in weitaus grösserem Umfang zulässig sein soll, als es die Auslieferung gebietet.»
Für den Juristen stellt sich denn auch die Frage, ob der europäische Haftbefehl in einem Konflikt wie diesem das richtige Instrument sei: «Schliesslich hat man es nicht mit einem Terroristen, sondern einem durch freie Wahlen legitimierten Politiker zu tun.»
Die Frage der politischen Verfolgung
Und was, wenn sich die spanische Justiz um derlei rechtstaatliche Bedenken foutiert? Immerhin wehrt sich Puigdemonts Anwalt mit dem Argument gegen die Auslieferung seines Mandanten, dass diesem in Spanien kein fairer Prozess gemacht werde.
Gazeas hält das für einen gewichtigen Einwand. Zwar sei Spanien nicht als Unrechtsstaat bekannt. Mit Blick auf den Straftatbestand der «rebelión», sei aber fraglich, «mit welcher Strenge und Objektivität» die Strafverfolgung vorangetrieben werde.
Das deutsche Oberlandesgericht werde sich also auch mit der Frage der politischen Verfolgung befassen müssen, schliesst der Strafrechtler.