Karen Bradley ist eine 48-jährige, konservative Abgeordnete für einen englischen Wahlkreis im britischen Unterhaus. Seit gut 13 Monaten amtiert sie als britische Nordirlandministerin im Kabinettsrang. Da Nordirland seit über zwei Jahren keine eigene Regierung mehr hat, verfügt Frau Bradley über beträchtliche Entscheidungskompetenzen.
Kurz nach ihrem Amtsantritt setzte sich Bradley ungläubigem Gespött aus, als sie in einem Interview zugab, sie habe bisher nicht gewusst, dass das Wahlverhalten in Nordirland konfessionell bestimmt sei, dass also Katholiken nur im Ausnahmefall für unionistische Parteien stimmten und umgekehrt. Immerhin war die Ministerin, eine qualifizierte Steuerberaterin, bei der Unterzeichnung des nordirischen Karfreitagsabkommens schon 28 Jahre alt gewesen.
Zwischenzeitlich wenig dazugelernt
Am Mittwoch nun offenbarte Frau Bradley im Unterhaus, dass sie in der Zwischenzeit wenig dazugelernt hat. Sie beantwortete die Frage einer unionistischen Abgeordneten aus Nordirland, wann sie endlich die Strafverfolgung von Terroristen beschleunigen werde, die für über neunzig Prozent der Opfer des Nordirlandkonflikts verantwortlich gewesen seien.
Karen Bradley übernahm die Prozentzahl; das seien alles Verbrechen gewesen. Die weniger als zehn Prozent der Todesfälle, die vom Militär oder der Polizei verursacht wurden, seien keine Verbrechen gewesen. Die Sicherheitskräfte hätten auf Befehl gehandelt und ihre Pflicht würdig und angemessen erfüllt.
Rücktritt gefordert
Abgesehen davon, dass die Prozentzahl eher bei elf liegt, und dass sie jene Terroranschläge ausklammert, die mit Duldung oder gar Ermutigung des Staates verübt wurden, löste die Schwarzweiss-Malerei der Ministerin Empörung aus. Nordirische Politiker verlangten Bradleys Rücktritt. Der irische Aussenminister, Simon Coveney, traf sie gestern Abend spontan in London für eine Gardinenpredigt.
Coveneys Chef, Premierminister Leo Varadkar, hielt sich heute hörbar zurück. Es sei nicht seine Aufgabe, die Zusammensetzung einer anderen Regierung zu bestimmen, das obliege Theresa May und Frau Bradley selbst. Diese war am Mittwoch nochmals ins Unterhaus geeilt, fand aber erneut die richtigen Worte nicht.
Mangel an Verständnis für Nordirland
Erst heute Mittag kam die Entschuldigung. Zu spät, meinte die frühere Ombudsfrau für die nordirische Polizei, Nuala O'Loan, eine mutige, abwägende Frau, gegenüber der BBC. Die Aussage zeige den Mangel an Verständnis für Nordirland, das nicht weiter eine derart ignorante Ministerin haben dürfe, die überdies die Grundprinzipien von Regierung und Recht nicht begreife.
O'Loan bezog sich hier auf die für heute in einer Woche erwartete Entscheidung der nordirischen Staatsanwaltschaft, ob formell Strafklage gegen 17 Angehörige des britischen Militärs erhoben werden solle, die 1972 14 Bürgerrechts-Demonstranten in Derry erschossen hatten. Premierminister David Cameron hatte sich einst für «Bloody Sunday» formell entschuldigt, doch auch das scheint der amtierenden Ministerin entgangen zu sein.
Der eklatante Fauxpas wirft nicht bloss Fragen nach der Kompetenz britischer Minister auf – das allein wäre schon schlimm genug –, sondern auch Zweifel daran, was gut ausgebildete Engländerinnen über ihre Nachbarinsel lernen – namentlich jenen Teil, der zum britischen Staat dazugehört.