Ein verlassener Grenzabschnitt im Norden Bosniens Ende April. Aus dem Wald tauchen kroatische Uniformierte auf. Dahinter eine Gruppe von rund 30 Menschen mit Rucksäcken und Decken bepackt. Am Grenzstein zwischen Kroatien und Bosnien bleiben die Beamten stehen und schicken die Gruppe per Handbewegung nach Bosnien.
Was aus der Ferne wie eine Grenzwanderung am Balkan aussieht, ist eine illegale Abschiebung von Flüchtlingen an der kroatischen EU-Aussengrenze. «Rundschau»-Reporter dokumentieren an zwei Tagen vier sogenannte Push-Backs. Die vier Aktionen betreffen rund 70 Menschen, hauptsächlich aus Pakistan, Algerien und Afghanistan.
Knüppelhiebe und zerstörte Handys
Die «Rundschau» konnte direkt nach den Push-Backs mit den betroffenen Migranten reden. Es ist das erste Mal, dass diese illegalen Ausschaffungen an der EU-Aussengrenze vollständig dokumentiert werden können.
Die Betroffenen berichteten übereinstimmend, dass sie von der kroatischen Polizei ohne Verfahren an der grünen Grenze nach Bosnien zurückgeschafft worden seien. Bei den Push-Backs sei von kroatischen Beamten auch Gewalt angewendet worden.
Ein junger Pakistani erzählt: «Sie haben uns im Wald aufgegriffen, alle in einen Van gesteckt und direkt zur Grenze gefahren. Die Fahrt dauerte etwa zwei Stunden. Dann haben sie unsere Handys zerstört und uns mit Knüppelhieben Richtung Bosnien geschickt».
Das Geld, das einige dabeigehabt hätten, sei ihnen gestohlen worden. Diese und ähnliche Berichte über zum Teil brutales Vorgehen der kroatischen Grenzwächter dokumentieren NGO seit über einem Jahr.
Asylanfragen ignoriert
Eine afghanische Familie mit Kleinkindern berichtet, wie sie im Wald von kroatischen Polizisten gestoppt worden sei. «Sie richteten die Pistolen auf uns und sagten ‹Stopp›. Wir hatten grosse Angst und weinten», erzählt das älteste der Kinder. Als die Familie um Asyl gebeten habe, hätten die Beamten gelacht, man werde ihnen «bosnisches Asyl» geben – sie also nach Bosnien zurückschaffen.
Die «Rundschau» sprach mit mehr als hundert weiteren Migranten und Flüchtlingen. Alle erklärten, dass sie daran gehindert worden seien, in Kroatien Asyl zu beantragen.
Kein Einzelfall in Europa
Die «Rundschau» legte die Filmaufnahmen Migrationsexperten und Menschenrechtsorganisationen vor. Der deutsche Migrationsforscher Marcus Engler ist deutlich: «Es ist ein Verstoss gegen EU-Recht und Völkerrecht.» Kroatien sei kein Einzelfall. «Diese Praxis wird an der ganzen EU-Aussengrenze angewendet.»
András Léderer vom Hungarian Helsinki Committee (HHC), spricht von schweren Menschenrechtsverletzungen. Bei einer möglichen Rückführung von Migranten brauche es immer ein offizielles Verfahren – auch wenn diese illegal über die grüne Grenze eingereist seien. Jeder Mensch muss einzeln angehört, sein Fall einzeln geprüft werden.
Aber das Video zeige klar: Hier finde eine kollektive Ausschaffung statt, was immer illegal sei. «Man darf Menschen nicht mitten im Wald oder auf einem Feld aus dem Land werfen», so Léderer. Dass die Zurückweisungen an der grünen Grenze inoffiziell stattfänden, also nicht in Gegenwart der bosnischen Behörden, sei eine klare Verletzung des Grenzabkommens.