In der Krise vollzog Portugal eine Kehrtwende: 2015 machte die sozialistische Regierung Kürzungen von Renten und Beamtenlöhnen wieder rückgängig. Den Mindestlohn erhöhte sie auf 580 Euro und investierte in neue Firmen.
Die Resultate dieser Politik sind beeindruckend:
- Die Arbeitslosigkeit betrug auf ihrem Höhepunkt 2013 16,4 Prozent. Ende 2017 sind es noch 8,2 Prozent.
- Das Bruttosozialprodukt stieg im vergangenen Jahr um 2,6 Prozent. Das ist mehr als in Deutschland.
- Die Neuverschuldung betrug 2017 gerade mal 1,4 Prozent. Das ist deutlich weniger als die EU-Gremien gemäss Maastrichter Vertrag erlauben (3 Prozent).
Wirtschaftsredaktorin Patrizia Laeri von #SRFglobal traf den portugiesischen Aussenminister Augusto Santos Silva in Lissabon und befragte ihn zu den Rezepten des portugiesischen Aufschwungs – aber auch zu Risiken und Nebenwirkungen.
SRF News: Sie sind neben Ihrem Amt als Aussenminister auch Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre. Hat es auch mit Ihrem Hintergrund zu tun, dass Sie es geschafft haben, Portugal zu einem Comeback zu verhelfen?
Augusto Santos Silva: Ja, man könnte sagen, das ist mein echtes Leben. Ich bin Ökonom von Beruf. Durch meine Arbeit an der Fakultät für Volkswirtschaft, war ich davon überzeugt, dass eine Wende nötig ist. Man kann Krisen auf eine prozyklische Art angehen. In jedem Wirtschaftslehrbuch steht aber, dass man Krisen antizyklisch begegnen sollte. Angesichts einer Wirtschaftskrise muss man Massnahmen zur Haushaltskonsolidierung sehr vorsichtig abwägen. Für echte Haushaltskonsolidierung braucht es Wirtschaftswachstum.
Sie haben der Sparpolitik ein Ende gesetzt. Können Sie erläutern, was Sie getan haben?
2016 beschlossen wir als Erstes, die Lohnkürzungen zurückzunehmen und auch die Rentenkürzungen zu annulieren. Dazu haben wir die zusätzliche Besteuerung nach und nach aufgehoben. Wir erwarteten, dass sich dadurch das Konsumverhalten anpassen würde. Die Menschen würden mehr Einkommen und mehr Einnahmequellen haben, sie könnten mehr zur Seite legen und sie könnten vor allem mehr ausgeben.
Das Konsumverhalten war also ein Faktor, der zur Erholung unserer Wirtschaftslage beitragen konnte. Ausserdem haben wir eine aggressive Strategie verfolgt – aggressiv auf eine positive Art – um unsere Wirtschaft weiter zu öffnen.
Wir haben die Exportkapazitäten unserer Firmen gestärkt, damit sie stärker in den europäischen und nichteuropäischen Markt exportieren können. Und wir wollten mehr ausländische Investitionen in Industrie und Dienstleistungen in Portugal.
Ihre Reformen waren aber genau das Gegenteil von dem, was die Troika eigentlich wollte.
Ja, es gab eine Veränderung. Das war möglich, weil sich der europäische Wirtschaftszyklus bereits zum Besseren wendete. Wir konnten vom Aufschwung in Europa profitieren.
Da war also auch Glück im Spiel?
Nein, es ist mehr als Glück: Es hat viel Anstrengung gekostet. Sehr wichtig war Vertrauen. Vertrauen ist unabdingbar für die Wirtschaftspolitik. Wir sagten sehr klar und entschlossen, dass wir unsere inländische Wirtschaftspolitik ändern, aber trotzdem all unseren Verpflichtungen als Teil des Euroraums nachkommen. Diese Eindeutigkeit führte dazu, dass die Märkte und Investoren Portugal wieder vertrauten. Wir haben ein System der Golden Visa eingeführt: Personen erhalten schneller eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mindestens 500'000 Euro in Immobilien oder 300'000 Euro in Vermögensanlagen investieren. Rentner, die nach Portugal kommen und ihren festen Wohnsitz hierher verlegen, haben während der ersten fünf oder zehn Jahre im Land vorteilhafte Steuerregelungen.
Wir sagten sehr klar und entschlossen, dass wir unsere inländische Wirtschaftspolitik ändern, aber trotzdem all unseren Verpflichtungen als Teil des Euroraums nachkommen.
40 Prozent der neu geschaffenen Arbeitsstellen sind im Niedriglohnsektor - sind Sie zufrieden?
Nein, wir brauchen natürlich gut bezahlte Stellen, wenn wir dem alten portugiesischen Migrationstrend entgegenwirken wollen. Wir sind ein Auswanderungsland. Überall auf der Welt gibt es Portugiesen. Über zwei Millionen in Portugal geborene Portugiesen leben und arbeiten heute im Ausland.
Sie haben während der Krise Ihre Leute verloren.
Absolut. Jetzt läuft es besser, weil der Auswanderungstrend abnimmt. Aber es gibt immer noch zu viele junge, qualifizierte, gut ausgebildete Menschen, die Portugal verlassen. Wir müssen sie anlocken. Das gelingt nur, wenn wir Arbeit garantieren können - gut bezahlte Arbeit. Schlecht bezahlte Jobs sind nirgendwo die Zukunft, auch nicht in Portugal.
Nachwuchs wäre die Zukunft, nicht? Aber die Geburtenrate.
(unterbricht) Das ist unser Hauptproblem. Wir haben weltweit eine der tiefsten Geburtenraten. Wie andere Länder Europas erleben wir derzeit einen sogenannten demografischen Herbst, einen demografischen Winter. Wir brauchen mehr Menschen.
Wir erleben derzeit einen sogenannten demografischen Herbst, einen demografischen Winter. Wir brauchen mehr Menschen.
Die Portugiesen im Ausland müssen zurückkommen. Und wir brauchen mehr Einwanderer, Ausländer, die zum Leben und Arbeiten nach Portugal kommen. In Portugal ist jeder willkommen - Flüchtlinge, Migranten, alle.