Vor rund einer Woche hat Österreich als eines der ersten europäischen Länder seine Corona-Massnahmen gelockert. Seither sind Tausende Geschäfte wieder geöffnet. Die Fallzahlen sind stabil geblieben. Journalistin Eva Linsinger erklärt die genauen Umstände.
SRF News: Die Fallzahlen in Österreich bleiben offenbar stabil – weshalb?
Eva Linsinger: Für diese erfreuliche Entwicklung gibt es zwei Erklärungen. Die eine ist, dass die Zeit schlicht zu kurz ist und dass es noch etwas dauert, bis die Fallzahlen wieder steigen. Die zweite Erklärung ist die angenehmere: Dass die Infektionsrate in der Bevölkerung so niedrig ist, dass sich kaum mehr jemand infiziert. Die nächsten zwei Wochen werden laut Experten im Gesundheitsministerium zeigen, welche der Theorien stimmt.
Aber man kann sagen, dass der erste Schritt zurück in die Normalität erfolgreich war?
Absolut. Dieser erste Schritt zurück ist geglückt, unter der Bedingung der – salopp ausgedrückt – Maskenpflicht. Eigentlich ist es eine Mund- und Nasenschutzpflicht. Das funktioniert. Nun steigt der Druck quasi von allen Seiten, dass man noch weitergeht.
Besonders stark ist im Moment der Druck, die Schulen und Kindergärten wieder zu öffnen.
Überwiegt in der Bevölkerung die Euphorie oder die Angst?
Es ist beides. Jetzt sind die Zahlen schon seit vielen Tagen hintereinander sehr niedrig. Das lässt die Sorge, dass die Intensivstationen ähnlich dramatische Situationen erleben wie in Italien oder in New York, etwas in den Hintergrund treten.
Besonders stark ist im Moment einerseits der Druck, die Schulen und Kindergärten wieder zu öffnen. Da gibt es noch keine eindeutige Perspektive der Regierung. Andererseits steigt auch der ökonomische Druck. Der Tourismus macht in Österreich einen grossen Teil der Wirtschaftsleistung aus, fast 15 Prozent.
Warum bleiben in Österreich die Schulen noch geschlossen?
Die Regierung sagt, es sei eine Vorsichtsmassnahme. Sie versucht, alle zu bremsen, die jetzt in Euphorie geraten und glauben, das Ganze sei überstanden.
Formell sind die Schulen ja nicht geschlossen. In Notfällen können Kinder in Schulen gebracht werden. Bisher macht das allerdings weniger als ein Prozent der Bevölkerung.
Kann die Regierungspartei Boden in dieser Krise gutmachen?
Ja, das kann sie. Es ist eine allgemeine Regel in der Krise, dass Führungsfiguren und nicht der Opposition vertraut wird. Man darf aber nicht vergessen, dass die Hauptkonkurrenz der Konservativen die Freiheitliche Partei ist. Die ist bekanntlich im Mai des vorigen Jahres wegen des Ibiza-Skandals an den Rand ihrer Selbstauflösung getrieben worden.
Spannender ist die Frage, warum die Sozialdemokraten – deren Parteichefin Epidemiologin ist – nicht auch profitieren. Einer der Gründe dafür ist sicher, dass die beiden Regierungsparteien derzeit grosse Auftrittsmöglichkeiten haben. Und sie machen ihre Sache gut.
Wie gross ist der Druck auf die Regierung, beispielsweise für die Gastrobranche Antworten zu liefern?
Der ist schon gross, schliesslich werden von Tag zu Tag auch die wirtschaftlichen Auswirkungen spürbarer. Österreich hat derzeit über 500'000 Arbeitslose. Das ist ein Rekordstand seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Kurzarbeit steigt. Die Wirtschaftsprognosen sind extrem negativ, zwischen minus sieben bis minus zehn Prozent für das aktuelle Jahr.
Das Gesetz für die Notstandsmassnahmen stammt noch aus der Monarchie.
Und Juristen äussern Kritik an der Rechtslage. Es geht um die rechtlichen Grundlagen, auf denen die Notstandsmassnahmen basieren, mit denen Teile der Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt wurden. Denn das Gesetz dafür stammt noch aus der Monarchie.
Das Gespräch führte Claudia Weber.