Zahlreiche Staaten haben auf den Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Skripal in Grossbritannien reagiert. Die USA haben 60 Mitarbeiter russischer Vertretungen ausgewiesen. Auch 16 EU-Staaten haben Ausweisungen von russischen Diplomaten bekannt gegeben und sind damit dem Beispiel Grossbritanniens gefolgt. Ex-Diplomat und Lehrbeauftragter für internationale Beziehungen an der Hochschule St.Gallen, Paul Widmer, erklärt, warum sich die Schweiz zurückhält.
SRF News: Ist diese Aktion der 16 Länder einmalig?
Paul Widmer: Was die Anzahl der Länder betrifft, ja. Es kommt sehr selten vor, dass sich so viele Staaten anschliessen, meistens werden Ausweisungen bilateral behandelt. Was die Anzahl der Ausgewiesenen betrifft, so ist sie nicht einmalig. Es hat früher schon Aktionen geben, bei denen wesentlich mehr Diplomaten ausgewiesen wurden.
Wie konnte sich dieser Zusammenschluss von 16 EU-Staaten herausbilden?
Zuerst ist sicher die Tatsache zu berücksichtigen, dass der Akt ein abscheulicher war. Es ist international verboten, Giftwaffen zu verwenden. Es ist auch ein Verbrechen gegen den internationalen diplomatischen Rechtskodex. Jedes Land ist verpflichtet, die Gesetze einzuhalten. Die Diplomaten sind verpflichtet, die Gesetze des Landes einzuhalten, in dem sie stationiert sind.
Deshalb haben die Staaten nun ein Zeichen gesetzt?
Ich nehme an, es war der Ärger über Russlands Vorgehen, der sich seit einiger Zeit aufgestaut hat. Das Vorgehen von Russland wich ja in letzter Zeit recht stark von den internationalen Normen ab, angefangen mit der Einverleibung der Krim, dann mit dem verdeckten Einsatz in der Ostukraine oder der Sonderrolle im Nahen Osten. Wahrscheinlich hat man gefunden, es sei wieder nötig, ein neues, starkes Zeichen zu setzen.
Unter den Ländern, die russische Diplomaten ausweisen, finden sich auch Nicht-EU-Staaten. Wieso zählt die Schweiz nicht dazu?
Die Schweiz hat traditionell eine sehr zurückhaltende Politik in dieser Hinsicht. Diese wird uns auch auferlegt durch eine glaubwürdige Neutralitätspolitik. Das Schweizerische Aussendepartement hat gesagt, dass es den Angriff aufs schärfste verurteile. Aber man will zuerst schauen, wie die Untersuchungen laufen, bis klar erwiesen ist, dass tatsächlich die russische Regierung dahintersteckt.
Hinzukommt auch, dass uns die Neutralitätspolitik anweist, eine Politik mit grösster Zurückhaltung zu führen. Wir müssen, wenn möglich, immer in der Lage sein, auch Aufgaben übernehmen zu können, falls sich die Lage verschlimmert. Falls es zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen kommen sollte, hat die Schweiz ihre besondere Rolle mit der Übernahme von internationalen Schutzmachtmandaten.
Bei diplomatischen Querelen kommt es immer wieder zur Ausweisung von Diplomaten. Wie schmerzhaft ist diese Aktion für Russland?
Nüchtern betrachtet muss man sagen, sie ist nicht allzu schmerzhaft. Andere Massnahmen wie beispielsweise Sanktionen oder Einreisesperren für bestimmte Personen sind gewiss schmerzhafter. Die Vertretungen von Ländern wie Russland oder umgekehrt auch von den USA sind im Allgemeinen sehr gross. Russland hat in den USA einen Bestand von 500 Personen.
Andere Massnahmen wie beispielsweise Sanktionen oder Einreisesperren für bestimmte Personen sind gewiss für Russland schmerzhafter.
Es ist nicht so, dass man die Aufgaben nicht mit reduziertem Personalbestand bewältigen könnte. Als Symbol, wie verschiedene Länder sich zusammentun und eine Politik verurteilen, ist die Aktion schwerwiegend und wird auch Auswirkungen auf das internationale Klima haben.
Russland hat bereits für jedes einzelne Land, das Diplomaten ausgewiesen hat, Massnahmen angekündigt. Welche Strategie wird Russland nun verfolgen?
Wenn man ähnliche Fälle in der Vergangenheit anschaut, dann ist damit zu rechnen, dass Russland Gegenmassnahmen ergreifen wird. Es wird zu einem Pingpong kommen. Jetzt werden die Russen auch Ausweisungen vornehmen. Es ist gut möglich, dass nachher nochmals eine Welle mit Ausweisungen aus den westlichen Ländern folgt.
Wie geht dieses diplomatische Spiel weiter?
Es wird Auswirkungen auf die Aussenpolitik verschiedener Länder haben. Die Solidarität, die sich gezeigt hat, ist erstaunlich gross, insbesondere innerhalb der EU, selbst wenn nicht alle Länder mitgemacht haben. Nach einer gewissen Zeit wird man versuchen, wieder zu einem Modus Vivendi zu kommen. So war es bei allen früheren Angelegenheiten. Es braucht keine grossen Zeichen, die Vertretungen können still wieder mit Personal aufgestockt werden. Aber in der Zwischenzeit wird man versuchen, den Kompass neu auszurichten.
Geht es nun für die Beteiligten darum, ihr Gesicht zu wahren und den Konflikt nicht eskalieren zu lassen?
Man wird ganz sicher versuchen, Grenzen zu setzen. Dafür hat man die Diplomatie, nicht die öffentliche, sondern die diskrete. Damit es nicht eskaliert. Die Eskalation wäre ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern und das möchte man gewiss vermeiden.
Das Gespräch führte Hanna Jordi.