Spätestens nach dem Tod des heute 83-jährigen Revolutionsführers Ali Khamenei muss die Macht in Iran neu ausgehandelt werden – egal wie weit die aktuelle Protestwelle noch führt.
Ein mögliches Szenario ist dabei, dass die Revolutionsgarden die Macht von den Mullahs übernehmen. Die iranischen Elitetruppen namens Pasdaran würden also das System an sich reissen, das zu beschützen ihnen aufgetragen wurde.
Für Sara Bazoobandi, die fürs Hamburger Institut für Nahoststudien Giga die Verhältnisse in ihrer Heimat Iran untersucht, ist das ein plausibles Szenario.
Fast allmächtige Pasdaran
Auf jeden Fall hätten die Revolutionsgarden die Mittel zur Machtübernahme: «Sie kontrollieren die Waffen, sie sind der Repressionsapparat, auf den sich die Geistlichen des Systems verlassen», sagt Bazoobandi. Auch ihre Skrupellosigkeit stehe ausser Frage.
Eine viel diskutierte Frage ist, ob Iran unter Führung der Revolutionsgarden einen ähnlichen Weg einschlagen könnte wie Saudi-Arabien. Denn bereits jetzt sind die Pasdaran die mächtigste Institution in Iran.
Grossen Einfluss in Politik und Wirtschaft
Inzwischen reichen die Tentakel der Revolutionsgarden in alle Ecken der Islamischen Republik. Ihre Offiziere dominieren nicht nur den Sicherheitsapparat, sie mischen auch immer stärker in Politik und Wirtschaft mit.
Bazoobandi, welche insbesondere die iranische Ökonomie analysiert, sagt es so: «In jede wirtschaftliche Aktivität, die irgendetwas abwirft, sind die Revolutionsgarden, direkt oder indirekt involviert.» Es gehe längst nicht nur um den Rüstungssektor.
Eine Aufnahme der Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste wäre ein starkes Signal an die Adresse des Regimes in Teheran.
«Von Medienunternehmen über den Güterexport bis zum Baugeschäft reichen die wirtschaftlichen Interessen der Pasdaran.» Diese Position komme ihnen nicht etwa zu, weil sie bessere Geschäftsleute wären, sondern weil sie die Macht haben und den Markt nach eigenem Gutdünken manipulieren könnten.
Insgesamt eher skeptische Bevölkerung
Wie aber steht es um den Rückhalt in der iranischen Gesellschaft für diese Elitearmee? Als der damalige US-Präsident Donald Trump vor drei Jahren General Qassem Soleimani, den Auslandchef der Revolutionsgarden, in Irak ermorden liess, strömten Menschenmassen in Iran auf die Strassen, um ihre Trauer zu bezeugen.
Iran-Kennerin Bazoobandi warnt dennoch vor voreiligen Schlüssen: Dass die Revolutionsgarden breites Vertrauen genössen, sei nur das Bild, welches das Regime gerne zeichne. «Es entspricht allerdings nicht der Realität.»
Die Bevölkerung erkenne etwa sehr wohl, dass es beim Ausland-Engagement der Pasdaran nicht um die Wahrung der Souveränität und Identität Irans gehe, sondern um die regionalen Ambitionen der islamischen Republik, betont Bazoobandi.
Verantwortlich für Repression in Iran
Zudem würden die Revolutionsgarden von der iranischen Bevölkerung vor allem mit blutiger Repression im eigenen Land verbunden. Für viele stünden sie für das Gegenteil dessen, was sich die Allermeisten in Iran erhofften – nämlich politische Transparenz, Respekt der Menschenrechte, ein Ende der Korruption.
Bazoobandi ist skeptisch, ob die Revolutionsgarden durch eine Aufnahme auf die Terrorliste der EU in ihrem Handeln tatsächlich eingeschränkt würden. Trotzdem ist sie dafür: «Es wäre ein starkes Signal an die Adresse des Regimes in Teheran, dass sich die EU von ihm abwendet.»
Es wäre auch ein starkes Zeichen der Solidarität an die iranische Bevölkerung, die auf eine Wende hofft.