SRF News: Zwei grosse Banken wollen Katalonien verlassen. Hatte das die katalanische Regierung auf ihrer Rechnung?
Alexander Gschwind: Sie müsste es auf ihrer Rechnung gehabt haben, denn man hat sie immer vor solchen Reaktionen gewarnt. Allerdings hat die Regionalregierung die Warnung in den Wind geschlagen. Man darf nicht vergessen, dass das Ganze eine Propagandaschlacht ist, bei der jene Argumente, die gegen das eigene Anliegen sprechen, systematisch ausgeblendet werden. Das gilt im Übrigen für beide Seiten in dem Konflikt.
Ist der Rückzug der Banken also keine Überraschung?
Nicht wirklich. Die Wirtschaftsseite in Katalonien vertritt ähnliche Positionen wie es die Schweizer Wirtschaft gegenüber der EU tut: Dem kleinen, regional verankerten Gewerbe ist die übergeordnete politische Ebene egal, während die Exportwirtschaft bei jeder Eintrübung des Verhältnisses die Stirn runzelt. So hat der grosse Unternehmerverband Kataloniens schon vor der Abstimmung vor dem Szenario gewarnt, das sich nun abzeichnet, während die Kleingewerbler zur Regionalverwaltung hielten.
Seit Anfang Woche ist die spanische Börse insgesamt um rund 25 Prozent abgesackt.
Tatsache ist, dass zwei grosse Banken aus Katalonien abziehen. Wie stark trifft das die dortige Finanzbranche?
In Zahlen ist das noch nicht abschätzbar. Es ist allerdings eine Binsenwahrheit, dass die Banken die Lunge des Wirtschaftssystems sind. Wenn nun zwei der wichtigsten Kreditgeber abziehen, ist das für die grössten Unternehmen eine Katastrophe und könnte einen Sog auslösen. Denn der Abzug hat direkt mit dem Abstimmungsresultat und den Vorkommnissen rund um das katalanische Referendum zu tun: Seit Anfang Woche ist die spanische Börse insgesamt um rund 25 Prozent abgesackt. Dabei verloren die katalanischen Unternehmen noch mehr an Wert.
Werden nun weitere Investoren ihr Geld abziehen beziehungsweise auf Investitionen in Katalonien verzichten?
Das ist ziemlich wahrscheinlich. Bereits am Dienstag hatte ein grosses Biotech-Unternehmen bekanntgegeben, dass es seinen Sitz von Barcelona nach Madrid verlegen werde – und damit seine Börsenkursverluste vom Montag nicht nur wieder ausgeglichen, sondern gleich auf einen Jahreshöchststand gehoben. Das sagt doch ziemlich viel aus.
Die katalanische Regionalverwaltung war in den vergangenen Jahren mehrmals auf Nothilfen aus Madrid angewiesen.
Was ist an den Gerüchten, wonach die spanische Zentralregierung juristische Hürden abbauen will, damit die Firmen leichter von Katalonien nach Spanien ziehen können?
Der Caixabank hat die spanische Regierung bereits zugesichert, dass sie keine Aktionärsversammlung verlangt, damit die Bank ihren Sitz verlegen kann. Madrid hat natürlich ein grosses Interesse daran, dass sich das Chaos rund um Katalonien nicht längerfristig und nachhaltig auf Gesamtspanien auswirkt. Zu beachten ist dabei auch, dass das Argument der Separatisten, Katalonien trage 20 Prozent der gesamten spanischen Wirtschaftsleistung, nur bedingt gilt. So war die katalanische Regionalverwaltung in den vergangenen Jahren mehrmals auf Nothilfen aus Madrid angewiesen, damit sie lebenswichtige Institutionen am Leben erhalten konnte.
Ohne Geld kann man ein Theater wie in den letzten Wochen und Tagen nicht aufziehen.
Hat die Reaktion der Wirtschaft einen sichtbaren Einfluss auf die katalanische Regionalregierung? Rückt sie von der angepeilten Unabhängigkeit ab?
So schnell wohl nicht. Der Abzug der Unternehmen müsste zuerst spürbar werden, denn bislang waren das bloss Ankündigungen. Möglich wäre allenfalls, dass gewisse Geldgeber der katalanisch-nationalistischen Bewegung jetzt kalte Füsse bekommen. Denn ohne Geld kann man ein Theater wie in den letzten Wochen und Tagen nicht aufziehen. Auch führt die katalanische Exportwirtschaft 60 Prozent ihrer Produktion nach Zentralspanien aus, die restlichen 40 Prozent gehen vorwiegend in den EU-Raum. Wenn Katalonien nach einer Unabhängigkeit nicht mehr Mitglied der EU wäre, verlöre es auch den Euro und hätte zwei Zollschranken in seine beiden wichtigsten Exporträume. Das wäre ruinös. Damit könnte die katalanische Regionalverwaltung auch ihre Hoffnung auf ein eigenes Steueraufkommen nicht einlösen. Dann sässe sie sehr rasch mit ganz kurzen Hosen und tiefroten Zahlen da.
Das Gespräch führte Simon Leu.