«Sie fanden mich zufällig, ich lag allein in einer Baracke. Plötzlich hoben mich zwei englische Soldaten auf eine Bahre. Ich schrie vor Schmerzen, da ich nur noch Haut und Knochen war und 29 Kilogramm wog», erzählt Katharina Hardy. Am 15. April 1945 wurde sie mit rund 60'000 überlebenden Häftlingen von britischen Truppen aus dem KZ Bergen-Belsen befreit. Hunger, Krankheit und Tod waren allgegenwärtig im Lager.
Die damals 16-Jährige verlor die Haare und musste wieder gehen lernen. Innere Verletzungen hinderten sie am Essen und Trinken. Erst im Juni 1945 konnte sie mit 35 Kilo das Lazarett verlassen.
Ich lebe damit. Aber verarbeitet habe ich das nie.
Die Erinnerungen schmerzen noch immer. Die Zeit hat die seelischen Wunden nicht heilen können. «Ich lebe damit. Aber verarbeitet habe ich das nie.» Stets habe sie geglaubt, stark genug zu sein. Deshalb war Psychotherapie nie ein Thema.
Zwei Konzentrationslager, Ravensbrück und Bergen-Belsen, hat Katharina Hardy überlebt. Ihren Vater traf sie erst nach dem Krieg wieder in Budapest. Die Mutter, die ältere Schwester und mehrere Verwandte starben, wurden ermordet, etwa in Auschwitz.
Einen Ehering für ein Glas Milch
Im März 1944 besetzten die Nazis auch Ungarn. «Pfeilkreuzler» errichteten mit deutscher Billigung ein Schreckensregime, dem mehrere Zehntausend Juden zum Opfer fielen. Ende 1944 wurden Katharina Hardy und ihre Mutter aus der Hauptstadt deportiert. Am 28. Dezember sahen sie sich zum letzten Mal. Die Mutter war unterwegs an Ruhr erkrankt. Mit deren Ehering liess sich eine Wache bestechen. «Sie konnte sich nicht mehr bewegen und wollte unbedingt noch einmal ein Glas Milch trinken. Sie war überglücklich, dass dies möglich war.» Dann trieben Soldaten mit Peitschen Katharina auf die nächste Etappe. Sie vermutet, dass ihre Mutter erschlagen oder erschossen wurde – mit 44 Jahren.
Was gab Katharina Hardy die Kraft zum Überleben? Darauf hat die heute 93-Jährige eine erstaunliche Antwort. «In der ganzen Zeit, als ich in Ravensbrück und Bergen-Belsen war, dachte ich kein einziges Mal an Mutter, Vater und Schwester. Dies wirkte wie ein Schutz.» Geholfen habe ihr zudem die Hoffnung, ihre Liebsten wiederzusehen, ein enormer Überlebenswillen und der starke Wunsch, eine eigene Familie zu gründen.
Antisemitismus – ein Leben lang
Bis heute hat Katharina Hardy ein distanziertes Verhältnis zum Land der Täter. «Ich werde Deutschland und den Deutschen nie verzeihen für das, was sie getan haben. Nie, nie!» Sie traue den Deutschen nicht.
Es gab für mich nie eine Zeit ohne Antisemitismus.
Die Judenfeindlichkeit sei nach wie vor präsent, sagt eine Frau, die schon als Kind bespuckt und geschlagen wurde, und stellt traurig fest: «Es gab für mich nie eine Zeit ohne Antisemitismus.»
Halt und Kraft in der Familie
Nach dem Krieg heiratete Katharina Hardy in Ungarn. 1956 flüchtete sie mit ihrem Mann, einem Maschineningenieur, in die Schweiz, wo sie sich einbürgern liessen. Auch er hat jüdische Wurzeln. Die drei Kinder sind evangelisch getauft. «Ich wollte ihnen mein Schicksal ersparen.»
Als Geigerin machte sie international Karriere. Die Familie gab ihr Halt und Kraft. Katharina Hardy und ihr über 100-jähriger Mann haben in Zürich Wurzeln geschlagen. Die Wohnung gleicht einem kleinen Museum. Viele Fotos und Gemälde erinnern an Menschen, die im Holocaust ihr Leben verloren haben.