SRF News: Viele hoffen nun auf einen Neuanfang an der Spitze der Fifa. Sehen Sie einen möglichen Kandidaten, der tatsächliche Reformen einleiten kann?
Robert Kempe: Bevor man bei der Fifa über Reformen sprechen kann, muss noch einiges passieren. Mit dem Rücktritt von Sepp Blatter ist es nicht getan: Auch das Fifa-Exekutivkomitee muss zurücktreten. Dort sitzen viele Personen, die das System Blatter – ein System der Vergünstigungen und Abhängigkeiten – nach oben gespült hat. Ich glaube nicht, dass man mit der aktuellen Besetzung Reformen umsetzen kann. Ausserdem muss man überlegen, wieso die 209 weltweiten Verbände, die Blatter über Jahrzehnte immer wieder gewählt haben, nun auf einmal für Reformen sein sollten. Mit einem neuen Präsidenten ist es deshalb nicht getan.
Von welchen Verbänden könnten denn am ehesten Reformen kommen?
Das geht nur geschlossen. Zwar wird der europäische Verband, die Uefa, immer wieder genannt. Doch auch Europa hat bisher Reformen mitverhindert. Ausserdem spricht die Uefa nicht mit einer Stimme. So hat selbst der Heimatverband von Uefa-Präsident Michel Platini, der sich in den letzten Wochen als Blatter-Kritiker aufgespielt hat, für Blatter gestimmt. Auch der russische Verband, der 2018 die WM ausrichtet, hat für Blatter votiert. Da fragt man sich: Sind Figuren wie der russische Sportminister Vitaly Mutko oder der Zyprer Marios Lefkaritis, dem man Interessen-Verquickungen nachsagen kann, die richtigen Exekutivkomitee-Vertreter aus Europa, um Reformen umzusetzen? Europa steht auch im Zentrum der Ermittlungen zu den WM-Vergaben 2018 nach Russland und 2022 nach Katar, die jetzt in der Schweiz laufen. Und auch wenn man die FBI-Ermittlungen in den USA anschaut, ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Schlinge immer enger um die Europäer zieht.
Europa hat Reformen bisher mitverhindert.
Heisst das, für einen Neuanfang kommt eigentlich nur ein Kandidat in Frage, der bisher gar nicht Teil der Fifa war?
Das wäre sicher das Beste. Aber ob sich ein solcher in der über Jahrzehnte verfilzten Fussballwelt durchsetzen lässt, bezweifle ich. Ausserdem ist es in der Sportwelt nie so, dass neue und progressive Köpfe nach oben gespült werden. Dazu ist die Sportpolitik viel zu opportunistisch angelegt. Deshalb glaube ich: Es braucht bei der Fifa radikale Schritte. Mehrere Leute müssen zurücktreten, Positionen in der Fifa müssen neu besetzt werden. Ausserdem muss man an die eigenen nationalen Verbände appellieren, die Blatter ja schliesslich unterstützt haben. Dort muss ein Umdenken stattfinden.
Derzeit werden als mögliche Blatter-Nachfolger viele Namen herumgereicht, noch ist nicht viel konkret. Doch einer, der immer wieder genannt wird, ist der Kuwaiter Scheich Ahmad Al-Fahad, der ebenfalls im Exekutivkomitee sitzt. Was trauen Sie ihm an Reformen zu?
Sehr wenig. Auch er steht für ein sehr fragwürdiges System. Er ist seit vielen Jahren auch Mitglied im IOC, hat dort als Chef der Vereinigung aller nationalen olympischen Komitees viel Einfluss und sitzt im IOC auf den Geldtöpfen. Ausserdem besitzt der Multifunktionär die Gabe, bei einigen Wahlen die Stimmvergaben schon am Tag zuvor zu wissen. Alle Wahlen, die Al-Fahad in den letzten Jahren unterstützt hat – wie Tokio 2020 oder die Wahl von Thomas Bach zum IOC-Präsidenten –, hat er gewonnen. Er ist in Asien bestens vernetzt und gilt dort als heimlicher Führer der asiatischen Fussball-Föderation. Auch hat er gute Verbindungen nach Afrika. Er ist also ein ernst zu nehmender Kandidat als Fifa-Präsident. Aber ich bezweifle, dass er für Reformen steht. Mit ihm würde es wohl eher im Sinne Blatters weitergehen.
Blatter ist nun ja möglicherweise noch einige Monate an der Macht und kann in dieser Zeit einen eigenen Kandidaten aufbauen. Glauben Sie, dass der neue Fifa-Präsident am Schluss ein Blatter-Treuer sein wird?
Nach den Verhaftungen von Zürich hat sich am Fifa-Kongress gezeigt, dass dieser die Mahnung aus Washington nicht verstanden hat. Blatter hat in der Fifa weiterhin viel Einfluss und wurde vom Kongress ja auch zum Präsidenten gewählt. Auch verfügt er über die Netzwerke, um einen eigenen Kandidaten aufzubauen. Dies ist auch durchaus in seinem Sinne. Denn wenn nach ihm wirklich ein Reformer kommen sollte, könnte dieser versucht sein, in den Keller zu gehen und nachzuschauen, was dort noch so alles an Schmutz rumliegt. Deshalb wird Blatter versuchen, bei der Nachfolge ein Wörtchen mitzureden.
Das Gespräch führte Barbara Peter.