Taiwan meldet bisher 67 Fälle einer Coronainfektion und einen Todesfall. Im Moment nehmen die Fälle moderat zu, allerdings wegen Personen, die eingereist sind, unter anderem aus Deutschland. Ursprünglich hatte man für Taiwan das Schlimmste befürchtet: Es liegt vor dem chinesischen Festland. Doch das Land hat die Lehren aus der Sars-Epidemie gezogen, weiss SRF-Korrespondent Martin Aldrovandi, der damals in Taiwan lebte.
SRF News: Wie konnte Taiwan die Ausbreitung eindämmen?
Martin Aldrovandi: Indem es sehr früh Massnahmen ergriffen hat und auch gut vorbereitet war. In Taiwan wurden schon sehr früh aus Wuhan kommende Passagiere untersucht. Es wurden Personen ausfindig gemacht, die in den letzten zwei Wochen in den betroffenen Regionen waren und entsprechende Symptome hatten. Taiwan nutzte unter anderem die Daten der staatlichen Krankenversicherung und der Einwanderungsbehörde.
Taiwan nutzte unter anderem die Daten der staatlichen Krankenversicherung und der Einwanderungsbehörde. (...) Auch Mobiltelefone wurden überwacht.
Zum Beispiel mussten Personen mit hohem Risiko zu Hause in Quarantäne. Auch Mobiltelefone wurden überwacht. Und Taiwan hat relativ früh Flüge eingestellt. Ende Januar wurde Chinesen die Einreise über die Grenze nach Taiwan praktisch untersagt.
Taiwan hat Erfahrung mit Epidemien wie Sars. Ist das wichtig?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich selbst war damals in Taiwan und habe miterlebt, wie stark Sars die Regierung und die Menschen prägte. Es gab eine grosse Verunsicherung, als plötzlich ein Spital unter Quarantäne gestellt wurde und niemand mehr hinaus durfte. Auch nicht die Leute, die sich per Zufall dort aufgehalten hatten. Es herrschte wirklich viel Angst.
Die Bevölkerung ist dieses Mal vergleichsweise ruhig geblieben.
Aber Taiwan hat sehr viel daraus gelernt. Zum Beispiel wurde danach unter anderem eine Epidemien-Kommandozentrale eingerichtet, die den Überblick behält und koordiniert. Die Bevölkerung ist dieses Mal vergleichsweise ruhig geblieben. Es gab auch sehr viel Zustimmung zum Vorgehen der Regierung. Die Taiwaner, die ich kenne, machen sich jetzt eher Sorgen darüber, wie die europäischen Länder aktuell mit der Krise umgehen.
Flächendeckende Grenzkontrollen, Temperaturmessungen und Tests macht die Schweiz bisher nicht. Warum aber Taiwan?
Um ein Ausbreiten des Virus möglichst früh zu stoppen oder zu verlangsamen. Taiwan hat sehr transparent darüber informiert.
Das Krasse ist, dass Taiwan nicht einmal Mitglied der WHO ist – nicht sein darf, weil Peking das verhindert.
Das gilt auch für Südkorea. Dort war der Verlauf zwar etwas anders. Am Anfang nahmen die Fälle stark zu, aber auch dort testete man sehr offensiv. Diese beiden Länder unterscheiden sich stark vom chinesischen Festland. Sie zeigen, dass es auch ohne die extremen Massnahmen, wie sie in China gelten oder galten, geht. Das Krasse ist, dass Taiwan nicht einmal Mitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO ist – nicht sein darf, weil Peking das verhindert. Und trotzdem hat Taiwan die Krise bis jetzt sehr gut gemeistert. Darauf sind viele hier sehr stolz.
In Asien sieht man oft Menschen mit einem Mundschutz, ebenso in Italien. In der Schweiz nicht. Warum tragen die Menschen in Asien Masken – um sich selbst zu schützen?
Ja, aber vor allem auch um andere zu schützen. In Japan ist es schon fast selbstverständlich, dass, wenn jemand erkältet ist, die Person eine Maske trägt, um andere nicht anzustecken. Ich bin aktuell in Hongkong, und auch hier tragen fast alle Menschen auf der Strasse solche Gesichtsmasken. Wenn man ohne Maske aus dem Haus geht, fühlt man sich schon fast ein bisschen nackt. Menschen, die keine solchen Masken tragen, sind meist westliche Ausländer. Über sie regen sich die Leute hier zum Teil recht auf.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.