Die Ukraine soll irgendwann einmal Mitglied der Europäischen Union sein. Es gibt keine Alternative zu dieser Empfehlung der EU-Kommission an die 27 Mitgliedsstaaten.
Die Staats- und Regierungschefinnen werden an einem EU-Gipfel noch etwas feilschen um Bedingungen für einen einstimmigen Entscheid. Aber auch das oberste politische Steuerungsgremium der EU kann in dieser Frage nicht frei entscheiden. Vorbehalte würden in der Ukraine als Rückweisung interpretiert.
Mit einigen Ländern im Westbalkan verhandelt die EU-Kommission seit Jahren
Es ist kein Problem, Beitrittsverhandlungen zu beschliessen. Denn der Entscheid hat nur eine sehr relative Bedeutung. In der Folge wird zwar formell das Beitrittsprozedere angeworfen. Aber es gibt keine bindenden Vorgaben über die Dauer solcher Beitrittsverhandlungen. Mit einigen Ländern im Westbalkan verhandelt die EU-Kommission seit Jahren über einen Beitritt.
Auch die Ukraine wird nicht in fünf Jahren alle erforderlichen Reformen beschlossen und implementiert haben, um 2030 Mitglied der EU zu werden, wie das Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, lauthals verkünden kann. Er schleicht sich in rund einem Jahr ohnehin aus der politischen Verantwortung.
Und trotzdem ist Kritik am Entscheid der EU-Kommission angebracht. Unter Federführung der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, verpassten es die Sachverständigen in der EU-Verwaltung einmal mehr, eine realistische Bewertung vorzunehmen, welche Fragen die EU aus eigenem Antrieb beantworten müsste, bevor sie überhaupt neue Mitglieder aufnehmen kann, also welche EU-Reformen Bedingung wären für eine EU-Erweiterung.
Es gibt äusserst attraktive Zwischenhalte
Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu empfehlen, ist einfach. Einen Arbeitsplan zu erstellen, wie die Ukraine und andere Länder – dereinst vielleicht sogar Georgien – an die EU herangeführt werden können, ist komplexer. Einmal mehr macht die EU einen grossen Bogen um unbequeme Hausaufgaben.
Es gäbe nämlich Alternativen zu Beitrittsverhandlungen, die zwingendermassen dem Ziel folgen müssen, dass ein Land Vollmitglied der EU wird. Es steht ausser Frage, dass dieser Anspruch seitens der Beitrittswilligen besteht. Ehrlich wäre es seitens der EU aber zu antworten, dass dieser Wunsch berechtigt ist, dass es tatsächlich nicht eine halbe Mitgliedschaft geben kann, dass es aber auf dem Weg zu einer EU-Vollmitgliedschaft auch äusserst attraktive Zwischenhalte geben kann.
Eine EU-Kommission mit Ehrgeiz hätte einen strategischen Plan ausarbeiten können, wie Beitrittskandidaten dereinst tatsächlich EU-Vollmitglieder werden können. Ein solcher Plan könnte einen Pfad aufzeigen, wie aus Partnern in Kooperationsabkommen Vertragsparteien mit Freihandelsverträgen werden, und dann Assoziationsmitglieder für sektorielle Zugänge zum Binnenmarkt enger an die EU gebunden werden, bis sie dereinst Mitglieder im europäischen Binnenmarkt mit allen Grundfreiheiten werden Und schliesslich Vollmitglieder der EU.
Wertloser, politisch motivierter Aktionismus
Mit jedem Integrationsschritt würden mehr Transferzahlungen seitens der EU geleistet. Gleichzeitig müsste sich die EU dazu verpflichten, eigenständig eine ambitionierte Reformagenda umzusetzen.
Ein solcher Plan fehlt. Wertloser, politisch motivierter Aktionismus dominiert in der EU-Kommission. Wertlos, weil wenig Selbstverpflichtung seitens der EU zu erkennen ist. Es gab einmal eine EU-Kommission, die weniger Nabelschau pflegte, weniger politischen Opportunismus anstrebte und mit mehr Mut und Weitsicht ihre Mitglieder in die Pflicht nahm.
All dies ist in der Empfehlung der EU-Kommission, mit der Ukraine (und anderen Ländern) EU-Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, nicht zu erkennen.