Seit Jahrzehnten sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland ein stetiges Auf und Ab. Noch im Sommer 2020 standen die beiden Länder sogar kurz vor einer kriegerischen Auseinandersetzung. Doch jetzt wollen sich Athen und Ankara wieder näherkommen. Auslöser dafür sei der Krieg in der Ukraine, berichtet ARD-Korrespondentin Karin Senz.
SRF News: Was steckt hinter der Ankündigung aus Ankara, man sei mit Athen übereingekommen, die Beziehungen zu verbessern?
Karin Senz: Der griechische Ministerpräsident Mitsotakis sagte am Sonntag, es gebe mit Blick auf den Krieg in der Ukraine grosse Herausforderungen. Ähnlich tönte es von Präsident Erdogan: Beide Länder hätten in der europäischen Sicherheitsarchitektur eine grosse Verantwortung. Offenbar möchte man jetzt nicht zusätzliche Unruhe verursachen. Beide Nato-Länder wollen die grosse Einigkeit von EU und Nato in der Haltung gegenüber Russland mittragen.
Erst vor drei Wochen gab es einen Streit um einige Inseln in der Ostägäis – wie ernst ist die neuste Ankündigung zu nehmen?
Anlass für die Streitigkeiten sind vor allem die vermuteten grossen Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Griechenland stationiert deshalb Soldaten auf seinen Inseln und verletzt damit den Friedensvertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923. Derweil beklagt sich die Türkei, in der Bucht von Antalya eingesperrt zu sein und Bodenschätze im Mittelmeer nicht nutzen zu können.
Es gibt auch ermutigende Zeichen – etwa beim Fährverkehr.
Doch es gibt auch ermutigende Zeichen: So wurde kürzlich der Fährverkehr zwischen den griechischen ostägäischen Inseln und dem türkischen Festland nach mehr als zwei Jahren Unterbruch wieder aufgenommen.
Im Zuge des Kriegs in der Ukraine konnte Erdogan sein Image im Westen etwas verbessern. Welche Rolle spielt dies in den türkisch-griechischen Beziehungen?
Erdogan steht tatsächlich gestärkt da, das zeigt auch der Besuch von Bundeskanzler Scholz heute in der Türkei. Erdogan könnte möglicherweise tatsächlich Gespräche über einen Waffenstillstand in der Ukraine auf den Weg bringen – letzte Woche trafen sich bekanntlich die Aussenminister der Ukraine und Russlands in Antalya, wenn auch ohne Ergebnis.
Erdogan kann sich jetzt gegenüber Griechenland etwas generöser zeigen.
Entsprechend kann er sich jetzt aus dieser gestärkten Position heraus gegenüber Griechenland etwas generöser zeigen.
Es gibt einige problematische Themenbereiche zwischen Athen und Ankara. Wie sollen konkret Fortschritte erzielt werden?
In der Flüchtlingsproblematik werfen sich beide Länder gegenseitig vor, für den Tod zahlreicher Menschen in der Ägäis verantwortlich zu sein. Hier könnten bei einer besseren Zusammenarbeit die Situation wohl verbessert und die Spannungen abgebaut werden. Schwieriger wird es beim Streit um die griechischen Inseln und um jenen ums Erdgas unter dem Meeresboden zwischen Kreta und Zypern.
Wie könnte eine friedliche Lösung im Erdgasstreit aussehen?
Experten gehen davon aus, dass es ein ziemlich kompliziertes Konstrukt geben wird. Der Streit dauert seit Jahren und ist kaum in kurzer Zeit zu lösen. Es gibt sehr viele strittige Punkte in der Frage, ob und wo die Türkei ebenfalls nach Gas bohren darf. Man muss sich jetzt auf einer technischen Ebene zusammensetzen, um eine tragbare und stabile Lösung zu finden und diesen Streit endgültig beizulegen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.