Darum geht es: Der Präsident der nur von der Türkei anerkannten Republik Nordzypern, Ersin Tatar, treibt die umstrittene Öffnung der einst von Zyperngriechen bewohnten Küstensiedlung Varosha weiter voran. Er erhält dazu die Rückendeckung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser sprach bei seinem Besuch in der Stadt diese Woche von einer «neuen Ära» für Varosha. Die Stadt im Südosten Zyperns ist seit 47 Jahren – seit der Invasion der Türkei in Nordzypern 1974 – militärisches Sperrgebiet.
Das haben Tatar und Erdogan vor: Tatar will ein Gebiet, das einer Fläche von 3.5 Prozent von Varosha, das ein Stadtteil von Famagusta ist, öffentlich zugänglich machen. Das militärische Sperrgebiet werde dort aufgehoben. Noch als Regierungschef von Nordzypern hatte Tatar bereits 2020 entschieden, eine Strandpromenade in Varosha wieder zu öffnen. Für die Republik Zypern war bereits das eine schwere Provokation, die auch international scharf kritisiert wurde.
Deshalb kommt Kritik von der EU: «Die Verwaltung der international nicht anerkannten türkischen Republik Nordzypern wird so auf Varosha ausgeweitet», sagt der zyprische Historiker Hubert Faustmann. Das widerspreche UNO-Resolutionen, die vorsähen, dass die Geisterstadt unter internationaler Verwaltung geöffnet werden müsste. Das Vorgehen Tatars und Erdogans verletze internationales Recht. Ausserdem werde eine mögliche Lösung im Zypernkonflikt jetzt praktisch unmöglich.
Darum ist Varosha so wichtig: Bislang sei Varosha von der türkischen Seite als Faustpfand zurückgehalten worden, etwa bei Verhandlungen, so Faustmann. Doch jetzt werde dieses Symbol für eine Wiedervereinigung durch die türkisch-zyprische Seite quasi vom Tisch genommen. «Man wird das Gebiet kaum unter eigene Verwaltung stellen und später den Zyperngriechen zurückgeben», ist er überzeugt. Ausserdem werde die Republik Zypern nicht viel gegen die türkischen Pläne unternehmen können.
Das sind Erdogans Beweggründe: Der türkische Präsident wolle mit der Aktion weder eine Friedensgeste senden, noch den ursprünglichen Bewohnern die Möglichkeit geben, nach Varosha zurückzukehren, sagt der Historiker. «Es geht darum, die eigenen Nationalisten zu befriedigen.» Erdogan kämpfe um sein politisches Überleben und versuche jetzt in der Türkei Punkte zu sammeln. Auch verfolgt Ankara die Politik, aus Zypern offiziell zwei Staaten zu machen. Entsprechend sei das Vorgehen in Varosha ein Schritt, die Teilung der Insel weiter zu zementieren, so Faustmann.