In einer abgelegenen Gegend im Süden des US-Bundesstaates Ohio befindet sich das «Tactical Defense Institute». Dieses gilt in den USA seit Jahren als führend, wenn es darum geht, Lehrpersonen im Umgang mit Waffen auszubilden.
Sieben Lehrpersonen absolvieren den dreitägigen Kurs für je acht Stunden. Dieser ist Voraussetzung, um sich im Klassenzimmer bewaffnen zu dürfen.
Einige, wie Nick, hatten bis vor Kurzem noch nie eine Waffe in der Hand. Die Massenschiesserei an einer Schule in Texas letzten Mai führte zu einem Umdenken. Damals wurden 19 Kinder und zwei Lehrpersonen getötet.
Nick sagt, er habe daraufhin mit seiner Frau diskutiert und gemeinsam seien sie zum Schluss gekommen, dass er sich in der Schule bewaffnen werde. Zum Schutz seiner eigenen und aller Kinder in der Schule.
Nick ist Sportlehrer an einer Highschool und seit diesem Schuljahr auch stellvertretender Schulleiter. Er will nur mit seinem Vornamen genannt werden – genau wie Michael, der ebenfalls an einer Highschool unterrichtet, jedoch schon mehr Erfahrung im Umgang mit Waffen hat.
Da nun immer mehr Schulen Lehrpersonen erlauben, sich zu bewaffnen, sei für ihn der Moment gekommen, diesen Kurs zu absolvieren, sagt Michael: «Ich komme aus einer ländlichen Gegend und es dauert zwanzig Minuten vom Sheriffbüro bis zur Schule. Wertvolle Minuten, in denen bewaffnete Lehrer Leben retten können.»
Waffenindustrie unterstützt Kurse finanziell
Das tönt ganz nach dem Motto der Organisation, die die Kurse durchführt: «Faster saves lives» – schneller rettet Leben. Joe Eaton ist einer der Organisatoren und überzeugt Lehrpersonen, sich zu bewaffnen sei der richtige Weg, um Schulen sicherer zu machen.
Mitfinanziert werden die Kurse durch Spendengelder aus der Waffenindustrie, die daran interessiert ist, möglichst viele Menschen zu bewaffnen. Genaue Zahlen, wie viele Lehrpersonen in Ohio die Schnellbleiche im Schusswaffentraining absolviert haben, gibt es nicht. Organisator Joe Eaton spricht von rund 3000 Personen in den letzten Jahren und sagt, die Kurse boomten.
Die Teilnehmenden machen nicht den Eindruck, Waffennarren zu sein. Vielmehr haben sie sich für die Ausbildung entschieden, weil sie fest davon überzeugt sind, so für das Wohl der Kinder zu sorgen. Und auch aus Angst, wie Nick zugibt.
Rollenspiele bereiten auf Ernstfälle vor
Geschult werden die Teilnehmenden nicht nur im Schiessen, sondern auch darin, wie sie sich in einem Ernstfall zu verhalten haben. Auf dem weitläufigen Gelände stehen mehrere Häuser mit verschiebbaren Sperrholz-Wänden und Treppen. Dort werden verschiedene Rollenspiele geübt. Die echten Waffen werden durch Softair-Waffen mit Plastikkügelchen getauscht.
Instruktorin Angela Armstrong gibt das Kommando. Jede Lehrperson muss einzeln ins fiktive Schulhaus hineingehen, einen Amokschützen im Klassenzimmer identifizieren und erschiessen. Sie beobachtet und bewertet die Teilnehmenden.
Angela Armstrong ist seit sieben Jahren Instruktorin. Sie sagt, zu sehen, wie die Lehrpersonen sich bei jedem Rollenspiel verbesserten, sei für sie etwas vom Schönsten und es fühle sich an, als sei Gott hier am Werk.
Nick bezeichnet die Rollenspiele als sehr wertvolle Erfahrung. Die Situation fühle sich sehr real an und bestätige ihn erst recht darin, sich zu bewaffnen.
Neues Waffengesetz ist umstritten
Während der kurzen Mittagspause gibt es einen Vortrag über Erste Hilfe. Der Kurs ist dichtgedrängt, auf die Teilnehmenden prasseln sehr viele Informationen ein. Genau das kritisieren die Gegner des neuen Gesetzes in Ohio. Ein dreitägiger Kurs zu je acht Stunden sei viel kurz, um sich danach bewaffnen zu dürfen.
Die Lehrergewerkschaften wehrten sich vergeblich mit dem Argument, Lehrpersonen müssten sich in erster Linie um die Kinder kümmern. Es sei absolut lächerlich zu denken, mehr Waffen in Schulen machten sie sicherer, sagt Julie Sellers. Sie ist Präsidentin der grössten Lehrergewerkschaft in Cincinnati. Zusätzliche Waffen stellten eine Gefahr dar, davon ist sie überzeugt.
Auch die Polizeigewerkschaft befürchtete mehr Chaos und grob fahrlässigen Umgang mit Waffen in einem hochsensiblen Umfeld wie der Schule.
Jeremy Scott ist der Vize-Sheriff des örtlichen Countys. Er nimmt freiwillig am Kurs teil. Scott hat seine Meinung geändert und ist inzwischen überzeugt, die Polizei brauche zur Unterstützung bewaffnete Lehrpersonen – vorausgesetzt, dass diese gewillt, fähig und geeignet für Waffen seien.
Der Vize-Sheriff glaubt auch an eine abschreckende Wirkung, wenn bekannt ist, dass an einer Schule bewaffnete Lehrpersonen unterrichten, ohne dass man weiss, welche es sind. Wichtig sei, die Zusammenarbeit der Polizei mit den jeweiligen Schulbehörden, betont er.
Schiessen als Abschlussqualifikation
Bei den Kursteilnehmenden steigt die Nervosität. Das abschliessende Qualifikationsschiessen steht an. Gesetzlich vorgeschrieben ist es nicht, doch diverse Schulen verlangen dies zusätzlich, bevor sich eine Lehrperson bewaffnen darf.
Die Teilnehmenden müssen aus verschiedenen Distanzen, in der Vorwärtsbewegung, mit Nachladen und unter Zeitdruck die Silhouette einer Person treffen.
Nick ist besonders nervös. Prompt macht er bei beiden Versuchen zu viele Fehlschüsse und verpasst die Qualifikation. Klar sei er enttäuscht, sagt er, doch er gebe nicht auf und trainiere weiter.
Michael hat die Qualifikation gleich im ersten Versuch geschafft und freut sich über den Erfolg. Er gehört fortan zu den Lehrern, die mit einer Waffe im Klassenzimmer unterrichten. Stolz nimmt er zum Abschluss noch eine spezielle Auszeichnung für die volle Punktzahl von 28 Treffern entgegen.