Drogen, Diebstähle und Gewalt: In Bradford in der englischen Grafschaft Yorkshire geht die Angst um. Zumindest, wenn man dem Statistikportal Numbeo glaubt: Für seinen «Crime Index 2023» hat es mehr als 100'000 Menschen zu ihrem Sicherheitsgefühl in 152 europäischen Städten befragt.
Die Rangliste basiert also auf dem subjektiven Empfinden der Teilnehmenden – die tatsächliche Anzahl von Drogendelikten oder gewalttätigen Übergriffen wurde nicht ermittelt. Trotzdem: Offenbar haben die Menschen ein mulmiges Gefühl, wenn sie durch die Gassen so mancher europäischen Stadt laufen.
Dazu gehört auch Marseille: In dem Ranking «schafft» es die südfranzösische Mittelmeermetropole auf Rang 2. Doch ist es dort wirklich so gefährlich, wie die Befragten glauben?
Rudolf Balmer, Frankreich-Mitarbeiter von SRF, kennt die Stadt seit vielen Jahren. Gemäss Umfrage sollen vor allem die Drogen- und Bandenkriminalität das Sicherheitsempfinden in der Küstenstadt eintrüben.
Balmers Verdikt: Ja, es gibt Probleme in Marseille. «Die Stadt hat seit jeher einen schlechten Ruf. Fast wöchentlich gibt es Meldungen über Abrechnungen unter Drogenbanden, allein in diesem Jahr gab es bereits 150 Mordversuche.» 16 davon waren «erfolgreich» – mitunter wurden Menschen mit Kalaschnikows erschossen.
Die Horrorgeschichten über Marseille sind laut Balmer aber zum Teil übertrieben. Die Gewalt konzentriere sich vornehmlich auf Quartiere im Norden der Stadt, der als Umschlagplatz für Drogen gilt. Und selbst dort könne man sich tagsüber gut bewegen, wenn man offenkundig nichts mit dem Milieu zu tun hat.
In diesen Quartieren von Marseille haben die Jugendlichen kaum Chancen, einen guten Job zu finden.
«Das Gefühl der Unsicherheit kommt aber sicher nicht von ungefähr», sagt der Frankreich-Kenner. Die Problemquartiere im Norden seien von der Politik über Jahrzehnte vernachlässigt worden: Mit der Metro sind sie nicht zu erreichen, nachts streifen Dealer durch die Strassen und es herrscht ein Gefühl der Perspektivlosigkeit.
«In diesen Quartieren haben die Jugendlichen kaum Chancen, einen guten Job zu finden», führt Balmer aus. Die Ausbildungsmöglichkeiten sind schlecht, die Verheissungen auf schnelles Geld verlockend. «Es ist kein Klischee: Für viele junge Menschen ist der Drogenhandel die einzige Einkommensquelle.»
Ein Teufelskreis
Marseille gilt als Tor zum Maghreb – in beide Richtungen. Viele Menschen, die aus Algerien, Tunesien und Marokko nach Frankreich gelangten, wurden in den heutigen Problemquartieren der Stadt untergebracht. Rückblickend ein Versagen der Politik, wie Balmer erklärt: «Es wurden Wohnsilos errichtet, die vom Rest der Stadt abgetrennt sind.»
Abschottung und Ausgrenzung bergen soziale Risiken, sagt auch Migrationsforscherin Denise Efionayi von der Universität Neuenburg. Andererseits sei es aber auch normal und durchaus positiv, dass sich Neuankömmlinge aus dem gleichen Kulturkreis untereinander mischten. Schliesslich verbinden die gemeinsame Sprache und Traditionen, und man unterstützt einander in der neuen Heimat.
Bern und Zürich als Vorzeigestädte
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Hierzulande fühlen sich die Menschen laut «Numbeo» mit am sichersten in ganz Europa: Bern (Platz 150) und Zürich (151) finden sich in der Statistik am unteren Ende. Ihr persönliches Sicherheitsempfinden schätzen die Befragten nur noch in San Sebastián im Norden von Spanien höher ein. Auch Basel (Rang 145) gehört punkto Sicherheit zu den Vorzeigestädten Europas. Auch Genf (Rang 110) und Lausanne (126) schneiden gut ab.
Laut Migrationsforscherin Denise Efionayi hat das positive Verdikt auch damit zu tun, dass sich in der Schweiz zwar durchaus Communitys von Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen gebildet haben – aber keine rechtsfreien Räume und Ghettoisierung. «Ich kenne kein Quartier in der Schweiz, wo ich mich als Frau nicht hintrauen würde.»
Und grundsätzlich sei es auch nicht problematisch, wenn sich eine Diaspora untereinander vernetzt. Schliesslich gebe es etwa auch das Phänomen, dass sich soziale Schichten in gewissen Quartieren ansiedeln würden – so etwa vermögende Menschen, die aufgrund der hohen Mieten unter sich bleiben.
Problematisch kann es werden, wenn soziale Gruppen abgeschottet und sich selbst überlassen werden. Efionayi nennt hier die Ansiedlung von Migrantinnen und Migranten in Betonwüsten abseits der Stadtzentren, wie es in Frankreich geschehen ist. Die Devise lautet auch für die Migrationsexpertin: die Menschen einbinden und anbinden – an die Gesellschaft, das Bildungswesen und die Infrastruktur.
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