Das Wichtigste in Kürze
- Nach den prosperierenden Jahren unter der Präsidentschaft der linken Gallionsfigur Lula da Silva erlebt Brasilien eine Art konservative Wende.
- Die Armee baut, 30 Jahre nach dem Fall der Militärdiktatur, ihre Macht im Land wieder aus. Reaktionäre Kräfte sind im Aufwind.
- Schuld sei die Politik, die es nicht schaffe, die einfachsten Grundlagen zu bieten, sagt Lateinamerika-Korrespondent Ulrich Achermann.
«Vom Heldenstatus von Ex-Präsident Lula da Silva ist kaum noch etwas übrig», sagt Achermann. Die einstige Gallionsfigur der Linken wurde wegen Korruption verurteilt und sitzt seit dem Wochenende im Gefängnis.
In den acht Jahren seiner Präsidentschaft ab 2003 hatte die Wirtschaft floriert und die Mittelschicht war gewachsen. Jetzt aber scheint die Armee, die Innenpolitik zurückzuerobern. Ein Indiz dafür sieht Achermann in der Tatsache, dass sie im Bundesstaat Rio de Janeiro neu für die innere und öffentliche Sicherheit zuständig ist.
Viele Menschen in Brasilien haben keine direkte Erinnerung mehr an die Militärdiktatur.
Brasilien war bis 1985 eine Militärdiktatur, und jetzt meldet sich die Armee zurück. Sind die Menschen in Brasilien nicht beunruhigt? Abgesehen von Künstlern und Intellektuellen rege sich kaum Widerstand, sagt Achermann. Er führt es darauf zurück, dass das Land eine sehr junge Bevölkerung hat. «Die Rückkehr zur Demokratie fand vor rund 30 Jahren statt. Viele Menschen in Brasilien haben keine direkte Erinnerung mehr an die Militärdiktatur.»
Nicht nur das Militär gewinnt an Macht zurück. Ganz allgemein sind in Brasilien reaktionäre Kräfte im Aufwind, wie Achermann feststellt. «Das hat viele Ursachen. Zum einen ist es das Versagen der Politik.» Sie schaffe es nicht, die verschiedenen Kluften in der Gesellschaft zu überwinden. Selbst bei den Grundlagen wie öffentliche Sicherheit, Stromversorgung, Bildungs- und Sozialwesen habe sie versagt. «Es ist nicht verwunderlich, dass Leute, die wie Tierchen behandelt werden, kein staatsbürgerliches Verständnis entwickeln können.»
Es ist nicht verwunderlich, dass Leute, die wie Tierchen behandelt werden, kein staatsbürgerliches Verständnis entwickeln können.
Prognosen für die Präsidentenwahl im Herbst will Achermann keine stellen. Klar sei jedoch, dass die Positionen des rechtsextremen Abgeordneten Jair Bolsonaro in der brasilianischen Bevölkerung nicht schlecht verfingen. «Die einfachen Parolen des ehemaligen Militärs basieren auf Recht und Ordnung. Und Bolsonaro stösst damit auf offene Ohren.»