Der britische Premierminister hat seine bisherigen nordirischen Verbündeten den Wölfen zum Frass vorgeworfen. Vor die Wahl zwischen einem Abkommen mit der EU und Harmonie mit den Unionisten gestellt, wählte Boris Johnson den Weg nach vorn. Nun muss er bis Samstag seinen Pakt dem Unterhaus verkaufen.
Johnson hat letztlich auf der ganzen Linie kapituliert. Von seinem «Plan», den er vor zwei Wochen präsentierte, ist nicht viel übrig geblieben. Die Zollgrenze verläuft nun nicht auf der Insel Irland sondern durch die Irische See, Nordirland bleibt der Mehrwertsteuer der EU unterworfen, und die Democratic Unionist Party mit ihren zehn Unterhausabgeordneten verliert ihr Vetorecht gegen die Zugehörigkeit Nordirlands zum Binnenmarkt.
«Harter Brexit» für Grossbritannien
Gewiss, die irische Grenze war die Achse, um die sich der Brexit seit Jahren drehte. Aber Johnson hat die britischen Zielvorstellungen dramatisch umgekrempelt. Er will sich viel weiter von der EU entfernen als seine Vorgängerin, Theresa May. Er strebt einen Handelsvertrag nach kanadischem Vorbild an; ohne Zollunion, ohne Binnenmarkt.
Das bedeutet, dass britische Importeure und Exporteure nach Ablauf der Übergangsfrist mit Zöllen, Papierkrieg, Kontrollen und Verzögerungen rechnen müssen. Branchen mit integrierten Produktionsketten wie die Automobilindustrie sind dann kaum mehr konkurrenzfähig.
Ohne DUP wohl kein Abkommen
Doch womöglich kommt es gar nie so weit: Die nordirische DUP hat schon angekündigt, sie werde gegen Johnsons Abkommen stimmen. Ohne die DUP ist eine Mehrheit für Johnson nur schwer denkbar.
Die Hoffnung, dass zahlreiche Labour-Abgeordnete die Lücke füllen könnten, mag trügerisch sein. In der Vergangenheit stimmten nie mehr als fünf Abweichler für einen konservativen Plan. Statt dessen mag die Opposition sich am Samstag sehr wohl mit einem zweiten Brexit-Referendum beschäftigen.
Cummings’ Plan?
Die aggressiven Instinkte von Johnson und seinem wichtigsten Berater, Dominic Cummings, deuten auf eine alternative Strategie. Heute teilten Regierungssprecher den Medien mit, Johnson wolle der EU ein Ultimatum stellen: Die vorliegende Einigung, verbunden mit einer Weigerung der EU, den Austrittstermin zu verschieben. Das käme einer Erpressung des Unterhauses gleich, denn Johnson ist gesetzlich verpflichtet, um eine Verschiebung zu bitten, falls das Unterhaus seinen Vertrag ablehnt.
Die EU wird sich nicht auf einen derartigen Kuhhandel einlassen. Aber Johnson hat versprochen, er werde einen Schleichweg finden, um diesen Bittgang zu vermeiden. Das weckt Zweifel an der Ernsthaftigkeit des ganzen Unterfangens; letztlich führt Johnson seit drei Monaten primär Wahlkampf.