Die Europäische Union hat Grossbritannien einen weiteren Aufschub für den Brexit gewährt. Neuer Termin ist der 31. Oktober – sechs Monate seien genug, um eine Lösung zu finden, so EU-Ratspräsident Donald Tusk. Eine sehr optimistische Prognose, findet der Politikwissenschafter Florian Hartleb. Er hält eine weitere Fristverlängerung für möglich.
SRF News: Frankreich und Österreich wollten einen deutlich kürzeren Aufschub. Was hätte dafür gesprochen?
Florian Hartleb: Dass es keine Optionen gibt für Grossbritannien. Theresa May könnte nach wie vor Neuwahlen oder auch ein zweites Referendum einleiten, wenn sie die Zustimmung vom Parlament bekommt. Die Europäische Union wird ja auch an der Nase herumgeführt. Sie hätte auch sagen können, es sei nun genügend Zeit verstrichen und einen radikalen Schnitt machen.
Die EU wird an der Nase herumgeführt.
Die «New York Times» schreibt von einer historischen Erniedrigung für Grossbritannien und Theresa May. Sie sehen das anders?
Ja, denn Grossbritannien hat das gewünschte Ergebnis erzielt. Die EU ist auch in einer schwierigen Situation, so kurz vor der Europawahl – zumal die lange Nacht gezeigt hat, dass es zwischen den EU-Mitgliedern unterschiedliche Positionen gibt. Unter dem Strich würde ich sagen, die EU steht schlechter da als die Briten.
Eine Bedingung für die erneute Verschiebung ist die britische Teilnahme an der Europawahl. Wie zielführend ist das?
Das ist ein absurdes Theater. Die Parteien in Grossbritannien sind nicht darauf vorbereitet und werden – wenn überhaupt – einen nutzlosen Wahlkampf machen. Boulevardmedien werden das Ganze wahrscheinlich ins Lächerliche ziehen. Dass diese eine gewisse Macht ausüben können, hat die Kampagne für das Brexit-Referendum deutlich gezeigt.
Aber die EU will unbedingt, dass Grossbritannien daran teilnimmt.
Es ist eine Farce. Aber es wäre schwierig gewesen, gleichzeitig die Konstruktionen für die Europawahl zu ändern. Dabei ginge es auch darum, wer die Kontingente von Grossbritannien erhält. Die EU befindet sich neben dem Brexit auch noch in verschiedenen anderen Krisen: Da geht es etwa um das Verhältnis zu den USA, um sicherheitspolitische und wirtschaftliche Fragen. Eine Konstruktionsveränderung vor der Europawahl wäre ein zusätzlicher Klotz am Bein.
Es ist ein absurdes Theater, dass Grossbritannien an der Europawahl teilnehmen soll.
Gleichzeitig soll Grossbritannien nicht aktiv in EU-Entscheidungen eingreifen. Ist das rechtlich zulässig?
Nein. Grossbritannien ist ja kein Beitrittskandidat, sondern ein volles Mitglied. Daher ist es rechtlich nicht möglich, Grossbritannien auf den Katzentisch zu setzen und auszuschliessen.
Fazit: Ein halbes Jahr wird nie und nimmer reichen.
Es wird weiterhin ein zähes Ringen sein und auf beiden Seiten Schäden geben, zumal eine neue EU-Kommission ins Amt gewählt wird. Der Brexit ist nach wie vor eine Herkulesaufgabe und nach wie vor ist nicht sicher, dass es überhaupt zum Austritt kommt. Allerdings gibt es auch keine Alternative, über die man eine Wette abschliessen könnte.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.