Die EU-Kommission hat vor einigen Wochen ein Weissbuch veröffentlicht, in welchem sie sich Gedanken über die Zukunft des vereinten Europa macht. Teil davon sind auch verschiedene Diskussionspapiere. Das neueste stellte die Brüsseler Kommission heute vor: Das Papier diskutiert die Frage, wie das jährliche EU-Budget von 155 Milliarden Euro verteilt werden soll.
Polen und Ungarn treten rechtsstaatliche Prinzipien mit Füssen.
Die EU-Kommission bringt eine «Anregung» ins Spiel, die für Zündstoff sorgen dürfte: So sollen die Mittel aus dem EU-Haushalt an den Respekt der Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden. Es bestehe ein klarer Zusammenhang zwischen der Rechtsstaatlichkeit einerseits und einer effizienten Durchführung der aus dem EU-Etat geförderten Investitionen andererseits.
Unverblümte Kritik an Polen und Ungarn
Gerade die rechtsgerichteten Regierungen Ungarns und Polens liegen mit der EU-Kommission bei einer Reihe von Themen überkreuz, insbesondere in der Flüchtlingsproblematik. Vor gut zwei Wochen leitete die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien ein, weil sie nicht bereit sind, Griechenland und Italien Flüchtlinge abzunehmen.
Kürzlich machte der französische Präsident Emmanuel Macron seinem Unmut Luft: Gewisse osteuropäische Staaten würden die EU als Warenhaus betrachten, sich aber um gemeinsame Werte foutieren. Heute forderte Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn die EU am Globalen Forum für Migration und Entwicklung zu «interner Solidarität» auf.
Dort ansetzen, wo es weh tut
SRF-Korrespondent Oliver Washington formuliert es direkter: «Polen und Ungarn treten rechtsstaatliche Prinzipien mit Füssen.» Brüssel habe zwar nur sehr beschränkte Möglichkeiten, die beiden Länder zur Raison zu bringen. Aber: «Auszahlungen an gewisse Bedingungen zu knüpfen, wäre ein höchst effizientes Mittel.» Vor diesem Hintergrund habe die EU-Kommission keinen blossen Papiertiger geboren.
Denn: «Es gibt einzelne Länder, die ohne das Geld aus Brüssel buchstäblich nicht überleben könnten», sagt Washington. Er nennt Beispiele: Kroatien etwa finanziert satte 80 Prozent seiner öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur wie Strassen und Schulen mit EU-Geldern; auch bei Ländern wie Portugal (70), Polen (50) und Ungarn (40) sind es beträchtliche Summen. Zudem ist Polen der grösste Netto-Empfänger in der EU.
Brüssel vor «lebhaften Debatten»
Weiter stellt sich die Frage, wofür die Gelder künftig ausgegeben werden sollen. Ziel des Budgets müsse sein, so Washington, dass die EU ihre Ressourcen für die wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenhalt der Mitgliedstaaten einsetzt – aber auch für die Sicherheit im vereinten Europa: «Wenn nun etwa terroristische Bedrohungen oder der Migrationsdruck auftauchen, die die EU als Ganzes tangieren, stellt sich die Frage: Müsste das Geld nicht gerade in diese Bereiche fliessen?»
Eine solche Umverteilung, um gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden, erscheine vorderhand logisch. Doch der EU dürfte eine «lebhafte und kontroverse Debatte» bevorstehen, schliesst Washington. Nicht zuletzt, weil die EU mit Grossbritannien den zweitgrössten Netto-Zahler verliert.