Mit einem Monat Verspätung bestätigt das Europäische Parlament heute die neue EU-Kommission von Ursula von der Leyen. Am 1. Dezember soll sie mit ihrer Arbeit endlich beginnen können. Bis vor wenigen Tagen war allerdings nicht klar, ob die Wahl stattfinden kann. Denn einmal mehr bereitet der Austritt Grossbritanniens der EU Kopfzerbrechen.
Boris Johnson hat Wichtigeres zu tun
Die britische Regierung weigert sich, ein Mitglied für die neue Kommission vorzuschlagen, obwohl Grossbritannien immer noch in der EU ist. Premier Boris Johnson kämpft zurzeit um Wählerstimmen und hat Wichtigeres vor Augen: den Brexit.
Darum wird nun eine unvollständige EU-Kommission gewählt, mit 27 statt 28 Mitgliedern. Das verstösst gegen das Gesetz. Denn dieses verlangt, dass jeder EU-Staat in der Kommission vertreten sein muss.
Die künftige EU-Kommission – Die Mächtigsten, Jüngsten, Ältesten und Umstrittensten
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Bild 1 von 9. Die Chefin. Die Christdemokratin Ursula von der Leyen (61) war die Überraschungskandidatin der EU-Staats- und Regierungschefs und wurde Mitte Juli vom EU-Parlament mit knapper Mehrheit gewählt. In Deutschland war die in Brüssel geborene und mehrsprachige Mutter von sieben Kindern unter anderem Familien-, Sozial- und Verteidigungsministerin. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 9. Die unterlegene Anwärterin. Die Liberale Dänin Margrethe Vestager (51) wollte selbst Kommissionspräsidentin werden – und bekommt nun als «exekutive Vizepräsidentin» die Zuständigkeit für Digitales und Wettbewerb. Als Wettbewerbskommissarin in der bisherigen Kommission hatte sie sich unter anderem Google, Facebook und Amazon vorgeknöpft. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 9. Der unterlegene Anwärter. Der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans (58) wollte ebenfalls selbst Kommissionschef werden und wird nun als Vizepräsident zuständig für Klima und Umweltschutz. Der ehemalige niederländische Aussenminister ist bereits seit 2014 Erster Vizepräsident. Die besonders wichtige Rolle soll er behalten, auf Augenhöhe mit Vestager. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 9. Der dritte exekutive Vizepräsident. Der lettische Christdemokrat Valdis Dombrovskis (48) ist der dritte im Bunde der exekutiven Vizepräsidenten und bekommt das Ressort Wirtschaft. Auch er ist schon seit 2014 Vize, bisher zuständig für den Euro. Vorher war er von 2009 bis 2013 lettischer Regierungschef. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 9. Der «Promi» der Kommission. Der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni (65) soll Wirtschaftskommissar werden. Er war in Italien mehrfach Minister und schliesslich von Ende 2016 bis 2018 Regierungschef. Nach dem Start der Populisten-Koalition in Rom blieb er bis zum erneuten Regierungswechsel Abgeordneter der Partei PD. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 9. Der Älteste. Der spanische Sozialist Josep Borrell (72) wird EU-Aussenbeauftragter und ebenfalls Vizepräsident der EU-Kommission – allerdings ohne das «exekutiv» im Titel. Der Ökonom ist seit Juni 2018 spanischer Aussenminister. Zuvor hatte er seit Ende der 1970er Jahre diverse Regierungsposten und war von 2004 bis 2007 Präsident des EU-Parlaments. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Der Jüngste. Der Littauer Virginijus Sinkevicius (29) geht als Kommissar für Umwelt und Ozeane an den Start. Der Ökonom und Jurist ist vom Bund der Bauern und Grünen. Er war als jüngster Minister in der Geschichte seines Heimatlandes seit 2017 für Wirtschaft und Innovation zuständig. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Der Umstrittenste. Der Pole Janusz Wojciechowski (64) soll Landwirtschaftskommissar werden. Er gehört zur rechtskonservativen Regierungspartei PiS. Wegen möglicher Unregelmässigkeiten bei Reisekostenabrechnungen während seiner Zeit im Europaparlament ermittelt die EU-Anti-Betrugsbehörde Olaf gegen ihn. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 9. Der grosse Abwesende. Eigentlich ist jedes der EU-Länder in der EU-Kommission vertreten. So auch Grossbritannien. Doch die britische Regierung hat angekündigt, dass sie wegen der für den 12. Dezember geplanten Neuwahlen keinen Kommissar ernennen könne. Am 1. Dezember wird die Kommission demnach ohne einen britischen Vertreter starten. Bildquelle: imago images.
Sonst wäre die Kommission gar nicht beschlussfähig, und all ihre Entscheidungen liefen Gefahr, vor Gericht angefochten zu werden. Rechtlich musste die EU darum wieder einmal einen Weg aus einer Sackgasse finden – und die Juristen in der EU-Verwaltung haben geliefert.
Der juristische Weg aus der Sackgasse
In das Scheidungsabkommen mit Grossbritannien fügten die EU-Juristen vorsorglich einen Passus ein, der es London verbietet, das Funktionieren der EU zu sabotieren.
Der EU-Kommission rieten sie ausserdem, Grossbritannien vorsorglich beim Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Dann diktierten sie der neuen EU-Kommissionspräsidentin einen Brief an Boris Johnson, mit der erneuten Bitte, ein Kommissionsmitglied vorzuschlagen – natürlich ohne Erfolg.
Schliesslich legten sie den Vertretern der 27 EU-Staaten im Ministerrat ein Beschlusspapier vor, das all diese Bemühungen in perfekter Juristensprache zusammenfasst, inklusive aller Rechtsmittelbelehrungen in den Fussnoten – damit das Europäische Parlament nun doch entscheiden darf. Hoffentlich rechtmässig. Sicher nach bestem Wissen und Gewissen. Trotz Brexit.