Zum Inhalt springen

Britische Unis in Geldnot Weniger ausländische Studierende – Dozierende fürchten um Stelle

Britische Universitäten finanzieren sich zu drei Viertel privat. Und sie hängen stark von den hohen Gebühren von ausländischen Studierenden ab. Nun kommen sie wegen strengeren Visa-Regeln in finanzielle Schwierigkeiten.

Statt in geheizten Hörsälen stehen rund 100 Dozentinnen und Dozenten in der Kälte draussen vor ihrer Universität, im nordenglischen Newcastle. Sie streiken und fürchten um ihre Stellen. Bis zu 300 von ihnen droht die Entlassung, weil weniger ausländische Studierende ins Land kommen und deren Gebühren in der Kasse der Universität fehlen. Die strengere Zuwanderungspolitik der britischen Regierung bringt Universitäten in finanzielle Schwierigkeiten.

Menschen bei einer Streikkundgebung mit Plakaten auf der Strasse.
Legende: Viele Universitäten in Grossbritannien sind in Geldnot, weil ausländische Studierende wegbleiben. Dozierende streiken deshalb vor der Uni in Newcastle gegen einen drohenden Stellenabbau. SRF

«Die Regierung ist besessen von der Idee, die Zuwanderungszahlen herunterzubringen», kritisiert Isabelle Ruegg-Alter, Dozentin am Institut für Moderne Sprachen, «ungeachtet, ob die Zugewanderten erwünscht oder unerwünscht ins Land kommen oder was sie dem Land bringen – ökonomisch.»

Wie viel bezahlen einheimische und ausländische Studierende?

Box aufklappen Box zuklappen

Die Gebühren von ausländischen Studierenden in Grossbritannien variieren sehr stark – je nach Studienfach und Universität. Sie können umgerechnet zwischen rund 23'000 Schweizer Franken und rund 80'000 Schweizer Franken im Jahr betragen. Die Universitäten sind frei, diese Kosten festzulegen. Sprachen und Sozialwissenschaften kosten beispielsweise an der Universität Cambridge umgerechnet rund 30'000 Schweizer Franken. Mathematik 34'000 Schweizer Franken. Architektur, Design, Geografie oder Musik 40'000 Schweizer Franken. Chemie, Computerwissenschaften oder Psychologie 47'000 Schweizer Franken. Am teuersten ist ein Medizinstudium – mit rund 80'000 Schweizer Franken im Jahr.

Einheimische Studierende bezahlen einheitlich umgerechnet rund 11'000 Schweizer Franken Jahresgebühr. Dieser Betrag wurde von der britischen Regierung im Jahr 2012 eingefroren.

Ausländische Studierende sind für britische Universitäten einträglich. Ihre Gebühren sind nicht staatlich reguliert – anders als jene von Einheimischen.

Wie viele ausländische Studierende gibt es in Grossbritannien?

Box aufklappen Box zuklappen

Im Studienjahr 2022/23 sind an den britischen Universitäten fast 760'000 ausländische Studierende eingeschrieben. Sie machen damit 26 Prozent aller Studierenden aus. Ein neuer Rekord; und ein Zuwachs von 460'000 Personen innerhalb von fünf Jahren. Die grösste Gruppe stellt Indien, vor China und Nigeria.

Bei einer durchschnittlichen Studiengebühr von umgerechnet 34'000 Schweizer Franken bringen sie gegen 26 Milliarden Schweizer Franken (23 Milliarden Pfund) ein – und damit sogar etwas mehr als die dreimal so grosse Gruppe der einheimischen Studierenden.

Grossbritannien bleibt für ausländische Studierende trotz teilweise schwindelerregend hoher Gebühren attraktiv: Mit dem Studienvisum erhalten sie auch die Erlaubnis, nach dem Bachelor zwei weitere Jahre bleiben und arbeiten zu dürfen. Zudem konnten sie bisher ihre Partnerin oder ihren Partner mitbringen, die dort arbeiten durften.

Der Familiennachzug wird zum Politikum

Was den Universitäten Milliarden an Einnahmen bringt, wurde 2023 zum Politikum: Ausländische Studierende und ihre Angehörigen sind ein wesentlicher Treiber der rekordhohen Zuwanderung. Manche vermuten, das Studienvisum werde missbraucht, um nach Grossbritannien einzuwandern und Arbeit zu suchen.

Aus diesem Grund schränkte die konservative Regierung 2023 das Recht auf Familiennachzug für Masterstudierende und Doktorierende ein; ebenso das Recht, nach Abschluss zwei Jahre im Land bleiben und arbeiten zu dürfen.

Plötzlich bleiben ausländische Studierende weg

Seit 2024 kommen weniger ausländische Studierende ins Land. Ihre Zahl sinkt im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent, wie Statistiken des Innenministeriums zeigen. Die Anzahl Visa für Familienangehörige ging gar um 84 Prozent zurück.

Dadurch entgeht den Universitäten eine riesige Summe an Einnahmen. «Das Business-Modell der britischen Hochschulen ist kaputt», titelte «The Economist» kürzlich.

Uni-Finanzen: Nur ein Viertel aus Steuergeldern

Box aufklappen Box zuklappen

Bisher übernimmt der britische Staat rund 25 Prozent der Hochschulausgaben – was wenig ist, im OECD-Vergleich: In den meisten OECD-Ländern liegt der staatliche Anteil bei durchschnittlich 67 Prozent. Britische Universitäten finanzieren sich zu drei Viertel über Gebühren von Studierenden, Sponsoring oder Firmenpartnerschaften. Und daran wird sich so schnell nichts ändern, weil die britische Staatskasse leer ist – und Gesundheitswesen, Volksschule und Verteidigung bei der Labour-Regierung höhere Priorität geniessen.

Die Gewerkschaft der Uni-Dozentinnen und -Dozenten sieht das genauso – und übt Kritik: «Das Finanzierungsmodell der Hochschulen ist nicht nachhaltig», sagt Jo Grady, Generalsekretärin der Dozierenden-Gewerkschaft UCU, am Streiktag in Newcastle. «Die Finanzen der Universitäten hängen zu stark von Gebühren ab – und geraten ausser Kontrolle, wenn die ausländischen Studierenden wegbleiben. Wir fordern die Regierung auf, Geld bereitzustellen, um die Hochschulen zu stabilisieren.»

Entlassungen im Frühling

Weil die Einnahmen von ausländischen Studierenden einbrechen, versuchen die Universitäten ihre Ausgaben zu reduzieren – mit freiwilligen Abgängen. Entlassungen werden folgen. Dozent Richard McClelland befürchtet, im Frühling die Kündigung zu bekommen. «Werden wir entlassen, müssen wir die Universität im Juli verlassen.»

Das wollen McClelland und seine Kollegen in Newcastle mit regelmässigen Streiks verhindern. Landesweit drohten gegen 10‘000 Entlassungen, befürchtet die Dozierenden-Gewerkschaft UCU.

Tagesschau, 16.3.2025, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel