Giulio Regeni war ein junger Wissenschaftler aus Triest, der in der ägyptischen Hauptstadt Kairo forschte. Seine Leiche, schwer gezeichnet von Folter, wurde 2016 am Stadtrand von Kairo an einer Autobahn gefunden. Bis heute ist eine mögliche Verwicklung des ägyptischen Regimes in seinen Tod ungeklärt. Der Fall führte zu einer Eiszeit zwischen Rom und Kairo. Nun scheinen sich die Wogen aber wieder zu glätten, erklärt SRF-Korrespondent Franco Battel.
SRF News: Italien soll vier Jahre nach dem Mord wieder Rüstungsmaterial an Ägypten verkauft haben.
Franco Battel: Ja. Italien hat beschlossen, dem Regime zwei Kriegsschiffe und weiteres Kriegsgerät zu verkaufen. Dazu muss man wissen, dass Italien nach der Folter und Ermordung seines Staatsbürgers nie aufgehört hat, mit Ägypten Handel zu treiben. Aber: Waffen wollte man nicht liefern. Das hat Italiens Politik bis jetzt verhindert. Mit dem Fregatten-Deal kehren die beiden Länder weitgehend zur Normalität zurück. Obwohl das Regime in Kairo zum Tod von Regeni keinerlei Klarheit geschaffen hat.
Also ist alles wieder harmonisch zwischen den beiden Ländern?
Die Bilder des toten, schwer gefolterten Regeni bleiben. Und auch der Verdacht bleibt, dass es das Regime in Kairo war, das den Studenten brutal aus dem Weg geräumt hat. Rom braucht aber ganz offensichtlich Kairo und den dortigen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. Zuerst einmal wegen Libyen. Denn Ägypten hat dort viel Einfluss. Man hofft, dass es Kairo gelingt, den Flüchtlingsstrom von Libyen Richtung Italien weitgehend abzubremsen.
Niemand in Rom war bereit, Druck auf Kairo auszuüben – vor allem, wenn er wirtschaftlich gekostet hätte.
Daneben hat Italien wirtschaftliche Interessen in Ägypten. Der Energiekonzern Eni hat vor einigen Jahren grosse Gasvorkommen vor der Küste Ägyptens entdeckt. Dieses Milliardengeschäft möchte Italien nicht der Konkurrenz – zum Beispiel Grossbritannien oder Frankreich – überlassen.
Regenis Familie war sehr bemüht darum, dass der Tod des jungen Wissenschaftlers nicht vergessen geht. Sie ging offensiv an die Öffentlichkeit und wollte damit Druck aufbauen. Wie reagieren die Angehörigen auf die neueste Entwicklung?
Vor allem die Mutter von Giulio Regeni forderte immer wieder die Wahrheit über ihren Sohn ein. Sie hat Italien angestachelt, nicht locker zu lassen und dem Machthaber am Nil unbequeme Fragen zu stellen. Die Familie Regeni ist schwer enttäuscht. Denn in den letzten Jahren sind von der italienischen Regierung nur noch Lippenbekenntnisse gekommen.
Niemand in Rom war bereit, Druck auf Kairo auszuüben – vor allem, wenn er wirtschaftlich gekostet hätte. Das muss für Mutter Regeni sehr bitter sein. Denn sie hat kurz nach dem Tod ihres Sohnes Fotos des Gefolterten veröffentlicht und damit viel Intimität preisgegeben. Dies, um die italienische Öffentlichkeit wachzurütteln. Das war nun offensichtlich alles umsonst.
Italien ist nach der Corona-Pandemie ein angeschlagenes Land. Bringt die Gesellschaft überhaupt noch die Energie auf, um sich mit dem Fall Regeni auseinanderzusetzen, sich zu empören?
Der Mord droht in Italien vergessen zu gehen. Noch vor zwei Jahren fand man an vielen öffentlichen Gebäuden die gelben Spruchbänder, die die Wahrheit über Regenis Schicksal einforderten. Diese Spruchbänder sind unterdessen weitgehend verschwunden. Bald werden viele Leute wohl gar nicht mehr wissen, wer er war. Das heisst auch, dass ein solcher Fall wieder passieren könnte – wenn also ein Ausländer oder eine Ausländerin in Ägypten Oppositionelle trifft oder frei spricht, kann dies einen das Leben kosten.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.