Es ist Freitagmorgen im Stadtzentrum von Mogadischu. Ein paar Männer nutzen den muslimischen Ruhetag, um hier ausführlich Kaffee zu trinken und zu diskutieren. Thema heute: Wie soll es weitergehen mit den internationalen Friedenstruppen, die vor 14 Jahren nach Somalia gekommen waren, mit dem Ziel, die Terrorgruppe Al-Shabaab zu bekämpfen? Das Mandat der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (Amisom), welche über 19'000 Soldatinnen und Polizisten umfasst, läuft Ende Jahr aus.
Sollen die fremden Truppen abziehen? «Dann haben wir ein Afghanistan-Szenario! Al-Shabaab wird Mogadischu einnehmen wie die Taliban Kabul», ruft einer. «Gar nichts wird passieren», beschwichtigt sein Sitznachbar. Die Diskussion läuft heiss, die Meinungen sind geteilt. Aber in einem Punkt sind sich die Männer einig: Wenn Al-Shabaab die Regierung in Mogadischu stürzt, dann wäre das keine gute Lösung für die Somalis.
Die Terrormiliz als Schattenregierung
«Al-Shabaab hat grosses Interesse daran, das Land zu übernehmen. Die Miliz wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt», erläutert Al-Shabaab-Experte Hussein Sheikh-Ali vom Hiraal Institute in Mogadischu. Zwar dürfte die Terrorgruppe nicht mehr als 10'000 Mitglieder haben, sie ist aber sehr effektiv.
Allein im ersten Halbjahr wurden in Somalia bei Anschlägen über 700 Zivilisten getötet. Rund drei Millionen Somalis mussten fliehen, das ist rund ein Fünftel der gesamten Bevölkerung. Die Bevölkerung hasse Al-Shabaab darum. Aber nicht nur, so Experte Sheikh-Ali: «Ein Teil der Bevölkerung respektiert Al-Shabaab für ihr effizientes Steuer- und Justizsystem.»
Seit Beginn des Bürgerkriegs vor 30 Jahren hatte Somalia nie wieder eine funktionierende Zentralregierung erhalten. Der gescheiterte Staat ist nicht fähig, seine Grundaufgaben zu erfüllen: Sicherheit, Gerichtsbarkeit. Al-Shabaab bietet eine Alternative. Besonders die Scharia-Gerichte werden geschätzt von der Bevölkerung.
Schiere Brutalität
Auch Adam schätzte einst die Gerichte von Al-Shabaab. Seinen Nachnamen will der 28-Jährige nicht nennen. Acht Jahre lang war er Mitglied von Al-Shabaab. Nun ist er ausgestiegen. Unter anderem, weil er mit der Brutalität der Gruppe nicht mehr klarkam: «Im islamischen Recht sind Strafen für Verbrechen geregelt. Aber Al-Shabaab bringt Schuldige manchmal einfach um oder sie hackten ihnen die Arme ab.»
Al-Shabaab bringt Schuldige manchmal einfach um oder sie hackten ihnen die Arme ab.
Der junge Mann mit Brille im Macawis, dem traditionellen somalischen langen Rock, ist heute in einem Reintegrationsprogramm für ehemalige Al-Shabaab-Kämpfer. Wie viele Mitglieder die Terrorgruppe jedes Jahr verlassen, ist unbekannt.
Adam ist überzeugt, dass viel weniger junge Männer wie er zu Al-Shabaab stossen würden, wenn sie in Somalia andere Möglichkeiten hätten. «Wenn die somalische Regierung dafür sorgen würde, dass es Arbeitsplätze gibt für Junge und Schulen, dann hätten wir das Al-Shabaab-Problem nicht mehr.»