«Charlie Hebdo» ist seit dem Anschlag auf die Redaktion vor bald zwei Jahren zum Symbol für Pressefreiheit geworden. Das will die Publikation nutzen und wagt den Einstieg in den deutschen Markt. Tim Wolff ist Chefredaktor vom deutschen Satire-Magazin Titanic. Was meint er zu neuen Konkurrenz?
SRF News: «Charlie Hebdo» kommt auf den deutschen Markt – und das gleich mit einer Auflage von 200'000 Exemplaren. Ein mutiger Schritt?
Tim Wolff: Wir freuen uns auf die neue und würdige Konkurrenz. Die Auflage ist auf jeden Fall sehr mutig, und sie werden sie wohl auch nicht halten können. Aber ein Versuch ist es wert.
Sie sprechen von einem würdigen und «echten» Konkurrenten. Fühlen Sie sich nicht auch bedroht?
Je mehr Konkurrenz, desto besser. Grundsätzlich finden wir es bei «Titanic» gut, wenn den Deutschen von aussen ein wenig Kultur nähergebracht wird. Wir sind eher satire-unkundig – da ist «Charlie Hebdo» ein erster Schritt; die Redaktoren können uns etwas beibringen.
Aber gibt es denn überhaupt genügend Leser für ein weiteres Satire-Magazin?
Wir haben schon einige Produkte kommen und gehen sehen. Ich befürchte, dass der deutsche Markt nicht genügend gross ist für wöchentlich 200'000 Satire-Leser, aber vielleicht schafft das ja «Charlie Hebdo». Sie haben auf jeden Fall einen besonderen Ruf, das ist ein Startvorteil. Ob sie auch die nötige Qualität haben, werden wir sehen.
Ich weiss nicht, wie international die Witze von 'Charlie Hebdo' sind.
Für die deutsche Ausgabe sollen vor allem Texte und Karikaturen des französischen Originals übersetzt werden. Kann das funktionieren?
Das halte ich für problematisch. Wenn man früher die MAD-Hefte von Herbert Feuerstein gelesen hat – der hat da viele amerikanische Sachen ins Deutsche übertragen – dann weiss man: Es gibt Knackpunkte. Muss man etwa bei einem Witz auch die Bezugspersonen ändern? Ein Spruch über irgendeinen französischen Politiker lässt sich ja nicht so einfach übertragen. Findet man den Witz gut, versucht man das Gleiche mit einem deutschen Politiker. Aber funktioniert dann die Pointe noch? – Ich weiss nicht, wie international die Witze von «Charlie Hebdo» sind, und ob das Material reicht, jede Woche ein ganzes Heft zu füllen.
Also ist Satire an die jeweilige Kultur und Gesellschaft gebunden?
Vor allem ist sie auch sprachgebunden. Einfach, weil Comic viel mit Wortwitz und der Herstellung von Beziehungen über Sprache zu tun hat. Das ist sicherlich nicht einfach. Wenn sich die Kollegen von «Charlie Hebdo» etablieren wollen, müssen sie wohl auch originale deutsche Texte publizieren.
Die Inhalte von «Charlie Hebdo» gelten als sehr derb. Es gibt immer wieder Kritik und auch Klagen – funktioniert diese Derbheit in Deutschland?
Wieso nicht? «Charlie Hebdo» wurde nach den Anschlägen auch in Deutschland von vielen als das Satire-Magazin hochgehalten, das es zu verteidigen gilt. Aber es ist wahrscheinlich, dass der eine oder andere enttäuscht sein wird, wenn sie realisieren, wie oft Weltpolitik bei «Charlie Hebdo» auf Analverkehr reduziert wird. Aber wir sehen das ganz ehrlich mit einer gewissen Vorfreude – es gibt auf jeden Fall eine Berechtigung.
Satire ist etwas, das gegen den herrschenden Konsens produziert wird.
Was ist ihr Rat an die Kollegen – welche Art von Satire könnte in Deutschland denn gut funktionieren?
Naja, ich möchte hier nicht unbedingt unser Erfolgsgeheimnis verraten. Aber, ich glaube, eigentlich ist Satire im Kern gar nicht dafür gemacht, sich verkaufen zu wollen. Es ist ja etwas, was gegen den herrschenden Konsens produziert wird, und das ist traditionell nicht das verkaufsträchtigste.
Das Gespräch führte Eliane Leiser.