Urbane Zentren in Afrika, das heisst normalerweise Chaos, Lärm, laute Musik. Hupen auf blockierten Strassen, Hip-Hop in den überfüllten Slums. Abfallberge ergänzen das Bild, lecke Wasserleitungen und schlechte Luft.
In Kilamba scheint sich Afrika davongemacht zu haben. Zumindest auf den ersten Blick. Konforme Hochhäuser, manche bis zu sieben Stockwerke hoch, verteilen sich auf einer Fläche von 30 Quadratkilometern. Breite Strassen durchschneiden sie in einem akkurat rechten Winkel. Bäume überall, Parks, die frühmorgens bewässert werden, und Babys in Kinderwagen, die spazieren geführt werden. Friedlich ist die Stimmung, klar die Luft, sogar das Zwitschern der Vögel ist zu hören.
Roselaide Rodriguez legt ihren Schlüssel auf das Tischchen vor einem riesigen Spiegel und macht es sich auf einer stylischen Couch in ihrer Wohnung bequem. Die 38-Jährige lebte bis vor sechs Jahren in der 30 Kilometer entfernten Hauptstadt Luanda. «Dort war es laut, hektisch und oft gab es weder Wasser noch Elektrizität. Hier jedoch haben wir dieses Problem nicht. Zudem ist es herrlich ruhig, die Luft ist frisch und man fühlt sich frei», sagt Roselaide Rodriguez.
Sozialwohnungen für über 100'000 Menschen
Man könnte meinen, dass die Frau zu den begüterten Menschen in Angola gehört – das ist jedoch nicht der Fall. Sie zahlt für die Fünfzimmerwohnung 130 Franken Monatsmiete. Damit könnte sie in Luanda höchstens eine Einzimmerwohnung mieten.
Kilamba war bei der Eröffnung 2011 als Stadt mit Sozialwohnungen konzipiert, doch damals hat eine Wohnung rund 300'000 Franken gekostet. Das konnte sich kaum jemand leisten, und die Trabantenstadt stand jahrelang leer und galt als sogenannt weisser Elefant – als typisches Beispiel für ein von China gebautes Wohnprojekt, das viel kostete, doch nicht funktioniert.
Doch dann senkte die Regierung die Preise um bis zu 40 Prozent und ermöglichte es, dass die Wohnungen über 30 Jahre abbezahlt werden können – und darum ist Kilamba, einst konzipiert für rund 200'000 Menschen, heute immerhin das Zuhause von mehr als 100'000.
Kilamba – eine urbane Revolution
Lidiu Daio vom angolanischen Architekturbüro Power2build bezeichnet Kilamba als urbane und soziale Revolution. «Die 20'000 Wohnungen in Kilamba wurden in nur fünf Jahren gebaut, allein das ist unglaublich. Dank der Möglichkeit, eine Wohnung über 30 Jahre abzubezahlen, können dort nun viele junge Menschen den Traum eines Eigenheims verwirklichen. Und solche Junge wird es immer mehr geben», erklärt er in seinem Büro.
Power2build verfolgt selbst eine urbane Revolution in Afrika. Es baute das erste Haus in Afrika mit einem 3D-Drucker und sieht in dieser Technik die Zukunft. Es sei zwar noch teuer, räumt Lidiu Daio ein, während er den Prototypen in leuchtendem Orange zeigt, doch wenn man viele Häuser so bauen würde, dann würde es finanziell interessant werden. Nun, da die Chinesen nicht mehr die alleinigen Herrscher punkto Aufbaus von Infrastrukturprojekten seien, so hofft er, kämen vermehrt angolanische Firmen zum Zug.
Wir brauchen dringend neue Städte. Denn unsere Bevölkerung gehört zu den am schnellsten wachsenden in Afrika.
«Wir brauchen dringend neue Städte. Denn unsere Bevölkerung gehört zu den am schnellsten wachsenden in Afrika. Doch sehe ich die Zukunft eher in niedrigeren Häusern, maximal drei Stockwerke, mit urbanen Gärten, um auch die Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren», umreisst der junge Architekt seine Vision. Und, das fügt er an: gebaut mit soliden Strukturen, mit hochwertigem Material. Denn Kilamba, so visionär die Stadt sei, habe grosse bauliche Mängel.
Kilamba – der Zerfall
Die Hochhäuser von Kilamba wirken nur von weitem perfekt. Wer auf einem Balkon im siebten Stock steht, fühlt sich unwohl. Denn ein tiefer Riss verläuft entlang der Verankerung. Und fast alle Häuser haben Wasserschäden – sie wirken nicht wie zehnjährige Gebäude, sondern so, als ob sie schon die Regenschauer von 50 Jahren überstehen mussten.
Im Wohnblock von Roselaide Rodrigues sieht der eigentlich elektronisch modern ausgerüstete Lift aus wie ein Modell aus den 1960ern und die Tapete im Gang ihrer Parterrewohnung blättert ständig ab. Darum kümmere sich hier niemand, sagt sie. Sie müsse diese Schäden selbst beheben.
«Ich würde nie im obersten Stock wohnen wollen, das wäre mir zu riskant. Gewisse Balkone dürfen nicht mehr betreten werden und zudem ist bereits ein Teil einer Strasse eingebrochen», erklärt sie mit einer gewissen Schicksalsergebenheit.
Viele leben trotzdem gerne in Kilamba
Von den Schäden wissen auch die Zwillinge, die in Kilamba von einem Glaceverkäufer, der per Fahrrad und Lautsprecher seine Ware anbietet, ein Eis kaufen. Dennoch gefällt es ihnen gut in Kilamba.
«Es ist super hier. Viel sicherer als im Slum, wo wir vorher lebten», sagt der eine, und sein Bruder ergänzt: «Es gibt hier alles, Schulen, Läden, eine Polizeistation, ein Krankenhaus und dann gibts auch coole Partys am Wochenende.» Das stimmt. Es gibt fast alles, was es braucht, damit Kilamba nicht nur eine Schlafsiedlung ist, sondern eine Stadt. Darum leben auch so viele gerne hier.
Es gibt auch laute Musik und ungeteerte Strassen, falls das jemand in der ruhigen grünen Oase vermissen sollte. Am Rande von Kilamba stellte die Regierung eine Fläche zu günstigen Konditionen zu Verfügung für all jene, die ein Restaurant eröffnen wollen, einen Kleiderstand oder ein Kosmetikstudio. Hierher fährt Roselaide Rodrigues von ihrer Wohnung per Uber, um in ihrem einfachen Restaurant schmackhafte Fischgerichte zuzubereiten.
Und hier versammelt sich die Jugend aus der näheren und weiteren Umgebung. Sie halten, Shisha rauchend, Hof in den Bars, eben genauso wie in den Slums oder der Hauptstadt, die sie verlassen haben.
Doch die Zukunft ist es dennoch nicht. Roselaide Rodrigues: «Na ja, die Häuser sind schon nach zehn Jahren am Zerfallen. Werden sie weitere zehn Jahre überstehen? Mal sehen. In zehn Jahren kann viel passieren.»