Satellitenaufnahmen haben gezeigt, wie China daran ist, sein Atomwaffenarsenal auszubauen. Viele Details sind noch unklar, aber für US-Analysten steht fest: Das ist die bedeutendste Expansion des chinesischen Nukleararsenals aller Zeiten, sagt der diplomatische Korrespondent Fredy Gsteiger.
SRF News: Was steckt hinter der Aufrüstung?
Fredy Gsteiger: Das Problem ist, dass man das nicht wirklich weiss. Es ist auch nicht klar, ob die Führung in Peking das wirklich endgültig entschieden hat. Es gibt im Grunde drei Theorien, was China damit bezwecken könnte. Die erste ist: China agiert defensiv. Es baut sehr viele Silos – primär um Verwirrung zu stiften. Es wird nicht alle mit atomaren Raketen bestücken, aber ein Gegner hätte Mühe, präventiv allesamt auszuschalten, weil er eben nicht wüsste, wo genau sich die eigentlichen Atombomben befinden.
Damit würde das «Gleichgewicht des Schreckens» noch schwerer beherrschbar.
Die zweite Theorie lautet: China handelt taktisch. Es will sich seine Position für mögliche Abrüstungsverhandlungen stärken, indem es zuerst mehr Atomwaffen besitzt, herstellt, um dann etwas zu haben, das sich auch weg verhandeln lässt. Es hätte dann danach immer noch viele Atomwaffen. Die dritte Theorie ist die Bedrohlichste: China will offensiv handeln, will atomar aufrücken zu den USA und zu Russland.
China hat laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri rund 300 nukleare Sprengköpfe, die USA hingegen haben fast 6000. Warum also die grosse Aufregung?
Hauptsächlich weil China finanziell und technologisch tatsächlich imstande wäre, atomar mit den USA und mit Russland gleichzuziehen. Es hängt im Grunde allein von einer politischen Entscheidung Pekings ab, ob es das will. Und wenn es das möchte und täte, dann hätte man plötzlich weltweit nicht mehr nur zwei atomare Supermächte, sondern drei.
Damit würde das «Gleichgewicht des Schreckens» noch schwerer beherrschbar und Abrüstungsverhandlungen natürlich noch komplizierter. Man hätte dann nämlich drei Länder mit nuklearen Erst- und Zweitschlagskapazitäten. Dazu kommt: Es gibt momentan sehr forsche Töne aus Peking, die darauf hindeuten könnten, dass China vielleicht grundsätzlich von seiner bisher sehr zurückhaltenden Atomstrategie abrücken könnte.
Hat man denn mit 300 Sprengköpfen nicht schon genügend Abschreckung? Eigentlich reicht ja ein einzelner Sprengkopf, um eine Katastrophe anzurichten.
Es ist richtig, die Zerstörungskraft modernster Atombomben ist enorm. Sie beträgt ein Vielfaches der Bomben, die seinerzeit in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt worden sind. Das Problem aber ist: Brächte man diese eine oder ein paar wenige Bomben tatsächlich ins Ziel? Und könnte nicht der Gegner mit seiner Atomraketenabwehr diese Bomben abfangen.
China ist sehr besorgt über die Effizienz des amerikanischen Raketenabwehrsystems Tat
China ist sehr besorgt über die Effizienz des amerikanischen Raketenabwehrsystems Tat, das zum Teil in Südkorea stationiert ist.
Seit dem Gipfel von Genf vor ein paar Wochen reden die USA und Russland wieder ernsthaft über atomare Abrüstung. China will da nicht mitmachen. Wie bekommt man denn jetzt angesichts all dieser Dinge China dennoch an den Verhandlungstisch?
Nach der Lesart Pekings ginge das so, dass zuerst Washington und Moskau atomar abrüsten würden auf das Niveau von China. Und wenn dann alle drei Supermächte gleich viele oder gleich wenige Atomwaffen besässen, dann könnte man gemeinsam über nukleare Abrüstung reden. Solange hingegen Russland und die USA je 15 Mal so viele Atomgefechtsköpfe besitzen wie China, ist man in Peking nicht bereit, sich an Verhandlungen zu beteiligen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.